Nervosität

Die Stasi macht DDR-Friedenstreffen obsolet  ■ K O M M E N T A R E

Ausgerechnet vor den Augen der über 1.000 „Persönlichkeiten aus 111 Ländern“, die an dem „Internationalen Treffen für kernwaffenfreie Zonen“ teilnehmen, hat die DDR -Staatssicherheit in bisher beispielloser Weise West -Journalisten traktiert. Da hatte man mit vielen Devisen und berühmten Westrockern dem Reichstagsklimbim etwas entgegengesetzt, nur um die Jugendlichen vom Brandenburger Tor fernzuhalten. Und mit der Stasiaktion ist die ganze schöne Strategie im Eimer. Wer will die Schalmeienklänge der DDR-Führung in bezug auf die atomwaffenfreie Zone jetzt noch ernstnehmen?

Zwar liegt es seit jeher in der widersprüchlichen Strategie der in Unehren ergrauten Antifaschisten und Erbauer eines besseren Deutschlands, den in der DDR auftretenden Konflikten mit wenig Zuckerbrot und viel Peitsche zu begegnen. Die aktuelle Überreaktion muß aber auch selbst manchen der alten Genossen in der Führung ärgern. Und so stellt sich die Frage, ob die Nervosität der Sicherheitsorgane nur einem durchgeknallten Einsatzleiter zu verdanken ist, oder ob die kontraproduktive Aktion der Sicherheitsorgane dem politischen Kampf hinter den Kulissen geschuldet ist.

Der Problemdruck jedenfalls steigt. Trotz der Ausweisungen vom Februar fordern immer mehr DDR-Bürger eine offene Diskussion in der Gesellschaft. Auf den regionalen Kirchentagen war von Einschüchterung nichts zu spüren. Und mehr denn je können sich die DDR-Bürger auf die Sowjetunion berufen, wo in den Thesen zur Parteikonferenz der Abbau der „traditionellen Diskussionsfreiheit“ beklagt wird. Man kann sich leicht den Schaum vor dem Mund vorstellen, den manche Parteikader beim Lesen des Rufs nach Kadererneuerung und der Abschaffung des Machtmißbrauchs haben müssen. Man kann aber auch die Hoffnung verstehen, die andere Parteimitglieder schöpfen können. Daß da manche im Sicherheitsapparat nervös werden, liegt in der politischen Logik. Langsam wird es aber an der Zeit, die Einsicht auch in der SED durchzusetzen, daß mit Klappe zu und Schotten dicht die Zukunft der DDR nicht zu gestalten ist. Also: Bildet Fraktionen, GenossInnen.

Erich Rathfelder