DIE DELINQUENTENZELLE

■ EINE ALBTRAUMGESCHICHTE AUS DEM KNAST

„Augenblick, ich will sehen, wie weit die jetzt sind: aha, jetzt holen se den Rothaaringen von Zelle 112... dann kommt 95, der mit der Knubbelnase, und dann sind Sie dran... können sich schon mal langsam fertig machen.

Wie bitte? Wie das geht? Sie sind aber vielleicht gut! Da darf ich ja gar nicht drüber reden, weil das ist ja... diese Amtsverschwiegenheit... oder Dienstsiegel... ist doch eigentlich ganz geheim. Sie gehen durch die Falltür, gehense ab, drei Meter tief. Oder, daß ich nicht lüge - ich glaube, die haben sogar erweitert, fünf Meter ist das jetzt, da sausen Sie dann runter. Ist natürlich sicherer, ist angenehmer. Und dann bricht Ihnen ja hinten der Knochen kaputt, das hören Sie richtig knacken. Das heißt, Sie nicht mehr, das ist klar - aber der Gefängnisarzt, der hört, wie das da knackt, und schreibt schön in sein kleines Notizbuch: Gesetz genüge geschehn! Hinterher kommt noch der Staatsanwalt, der beguckt Sie, weil ja ein Zeuge sein muß, der das beweist, daß Sie der Tote auch wirklich sind. Ja, und dann ist Feierabend, dann haben Sie alles hinter sich, seinse froh. Das ganze Leben hat sowieso keinen Wert. Sehen Sie mal, nur wir vom Strafvollzug als Beispiel: schon wieder keine Weihnachtsgratifikation. Ich sag gestern noch zu einem Kollegen: Am liebsten ging ich selber auf die Falltür, da hätt‘ ich die ganzen Malessen vom Hals. Ist doch wahr.

Aber wissen Sie, woher das kommt? Weil wir nicht organisiert sind. Wir haben jahrelang einen Antrag gestellt bei der Gewerkschaft - Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr -, daß wir da rein wollen. Aber immer wieder haben die abgelehnt. Bis jetzt der neue Kollege kam... Wachtmeister Wuttke, den kennen Sie doch auch... der große, stämmige Herr mit Glatze. Der kommt so von Berlin, oder wo er her ist... jedenfalls mit der Schnauze ist der ganz schön vorne weg... und sagt: „Was die wollen euch nicht aufnehmen in der Gewerkschaft? Das werde ich mal in die Hand nehmen!“

Dann ist er hin: „Wieso hier... nicht wahr? ... warum wollen Sie das nicht genehmigen? Bitteschön, wir transportieren die Herrschaften zum Galgen - also: Transport und Verkehr!“ Ja, da haben die dumm aus der Wäsche geschaut, konnten nix sagen, und wir sind dadurch jetzt der Gewerkschaft angeschlossen. Ist sogar ein Antrag am Laufen auf „Seelenzulage“, wegen der Grausamkeit in der Todeszelle, das bleibt einem ja nicht in der Uniform hängen. Na, ich bin gespannt, wieviel Mäuse sie uns da zubilligen werden.

Das dauert heute wieder!... Immer wenn der Staatsanwalt Knuffmann die Hinrichtung leitet, dann dauert das eine halbe Stunde und länger. Soll doch nicht soviel erzählen, das wollen die Leute doch gar nicht mehr hören. Mann, ist das ein Blödsinn!

Ich bin bei meinem Schwager zum Geburtstagskaffee eingeladen... ja, die eine Straßenbahn, die kriege ich schon nicht mehr. Sicher, da fährt noch ein Omnibus - mein Schwager wohnt oben in der neuen Kolonie am Stadtrand - wenn der den Anschluß abwartet... aber da müßte ich schon mal Glück haben... nä, wahrscheinlich ist der schon weg... dann kann ich da eine halbe Stunde stehn und warten. Junge, Junge ist das ärgerlich. Aber wie gesagt, immer nur bei Knuffmann.

Was haben sie als Henkersmahlzeit? Blutwurst? Die ist gut nicht? Ja, der Gefängniskoch, Sie der ist eine Kanone, der Mann. Früher ist er auf den großen Ozeandampfern gefahren, da hat er alle unter sich gehabt. Nä, auch nur gute Zutaten nimmt der, Fleisch immer schön abgehangen, was anderes, das kommt bei dem nicht in Frage... Aber Sie hätten mehr haben können - steht Ihnen doch zu: ein Pfund Fleisch, anderthalb Pfund Gemüse, zwei Pfund Kartoffeln!

Wie bitte? Nä, jetzt nicht mehr! Das ist natürlich Blödsinn. Das hat doch jetzt keinen Wert mehr, kriegen Sie ja auch gar nicht mehr auf. Ich will Ihnen sagen wie das geht. Sie mußten mir gestern Abend... bis 18 Uhr... mußten Sie mir da die Wünsche bekanntgeben. Der eine will schon mal Rotbarschfilet, der andere Wiener Schnitzel, oder daß einer vielleicht auch chinesisch vorzieht. Dann muß ich es - aber bis spätestens 19 Uhr! - auf'n kleinen Zettel in der Gefängnisküche abgeben... und dann kriegen die Herrschaften das morgens serviert für'n letzten Gang. - Sicher, das ist Schuld vom Geschäftszimmer, das hätten die Ihnen sagen müssen! Da haben sie immer andere Sachen im Kopf, die Blödmänner, statt daß sie die Herrschaften auf ihre Rechte hinweisen. Aber ich werd‘ nachher ganz schön reklamieren, werde ich richtig mal Krach schlagen, da können Sie sich drauf verlassen!

Wie alt sind Sie eigentlich? Noch'n junger Mensch, nicht? Oder raten Sie mal, wie alt ich bin! Was? Haha! Ja, Junge denkste! Nä, ich bin 63! Ich weiß, das sieht mir keiner an. Was meinen Sie, ich bin über 40 Jahre schon im Strafvollzug! 37 Jahre war ich im Außendienst und habe seit einiger Zeit Last mit den Füßen. Dadurch bin ich dann hier in die Todeszellen gekommen, Aber ich bin 63 - ich könnt ja ihr Vater sein!

Ich habe mich aber auch immer gut mit den Herrschaften verstanden. Das wissen Sie ja selber, daß ich kein Unmensch bin. Ich sage: Wie es in den Wald hineinschallt, so... äh... also, schallt es heraus. Wenn mir einer anständig entgegentritt, dann... nicht wahr... muß nämlich Mensch bleiben im Leben, alles andere hat sowieso keinen Wert.

Sie machen das zum Beispiel richtig: Nicht jammern, nicht klagen - wenn man was ausgefressen hat, sagt man: 'Jawohl, bitte schön, ist leider passiert!‘, und steht man da als Mann steht man dafür gerade. Ich kann das nicht vertragen, wenn die Brüder manchmal so jammern tun, und auch der Knuffmann, der wird dann ganz wütend. Die Tage war noch einer, der hatte auch, wie Sie, dasselbe Delikt, auch jemanden umgebracht. Und der war so am Quengeln: Mama, Mama, ich will nicht sterben! Da hätten sie mal den Staatsanwalt Knuffmann erleben müssen, der hat den vielleicht angebrüllt. sagt er: Hätten Sie nicht das blühende Menschenleben ausgelöscht, das wär besser gewesen, jetzt wird dem Gesetz Genüge getan, sonst nix! Au, der hat den aber fertig gemacht. Also so bös‘ habe ich den Knuffmann aber noch nie gesehen. Der hat dem richtig Zunder gegeben.

Nä, wie gesagt, wie Sie's machen, ist richtig. Ich kann Ihnen das jetzt auch ruhig sagen: vor Ihnen haben die hier alle im Gefängnis Hochachtung, ehrlich, auf Sie da halten die alle große Stücke. Sicher, da haben Sie nicht mehr viel von, aber ist ja auch egal, Sie haben hinterher eine richtig schöne Nachrede... So - ich glaube jetzt, die kommen jetzt. Passen Sie auf, der Staatsanwalt liest das Urteil noch mal vor, da müssen Sie bei aufstehen, das wissen Sie ja.

Guten Tag, Herr Staats..., nä, der unterhält sich noch mit dem Direktor... Guten Tag, Herr Staatsanwalt!... Jawohl, wünsch ich auch gehabt zu haben! Ja also, ich weiß nicht, mir ist was nicht richtig bekommen... ob das die Knackwurst war?... ich hatte ein paar Tage so richtig mit dem Magen!... Wie bitte? Ach so, ja. Mit dem Herrn hier ist alles in Ordnung... ich muß nur noch die Ketten abnehmen...

Also dann... alles Gute!“

Michael S., Neumünster