Die Geburt des Inselbewußtseins

■ Die Blockade Berlins jährt sich zum 40. Mal / Von Andreas Hallen und Thomas Lindenberger

Heute vor 40 Jahren gingen in West-Berlin die Lichter aus: Die Welt erlebte den Beginn der Inszenierung von Blockade und Luftbrücke. Im Bewußtsein der Berliner wurden über Nacht die westlichen Alliierten von Besatzungs- zu Schutzmächten. Eine Einschätzung, die sich bis heute gehalten hat und das Feiern speziell der „Deutsch-Amerikanischen Freundschaft“ begründet.

Da der Alliierten Kontrollrat sich im Nachkriegsdeutschland nicht auf eine gemeinsame Währungsreform einigen konnte, entschieden sich die Westmächte schließlich für einen Alleingang und kündigten für den 20. Juni die neue DM an. Drei Tage später erklärte in der sowjetischen Zone Marschall Sokolowski die „Kuponmark“ (mit einem Kupon beklebte alte Reichsmark) als neue Währung für „ganz Berlin“. Die Westmächte setzten diesen Befehl jedoch außer Kraft und kündigten für den 24. Juni die mit „B“ beklebte Westmark für die westlichen Sektoren an. Seither hat Berlin zwei Währungen.

Als Reaktion darauf drehte die Sowjetunion für die westlichen Sektoren am Abend den Strom ab und verfügte die Blockade der Land- und Wasserwege für den Güterverkehr von und nach Westdeutschland, sowie die Eisenbahnlinie Berlin -Helmstedt. Die Westmächte antworteten mit der Gegenblockade: der Güterverkehr in die Ostzone wurde gestoppt. Am 26. Juni schließlich wurde die Luftbrücke gestartet - übrigens die einzige alliierte Regelung über Zugangswege von und nach Berlin nach 1945.

Luftbrücke als Manöver

Die Luftbrücke faszinierte durch ihre Technik. Tag und Nacht wurde Berlin angeflogen. Zu Beginn konnten die Flugzeuge alle 90 Minuten starten oder landen. Am 16. April 1949 flogen sie alle 60 Sekunden. Fast 13.000 Tonnen wurden an diesem Tag auf den drei West-Berliner Flughäfen abgeladen. „Blockade gebrochen“ hieß die Überschrift einer Zeitung am nächsten Morgen. Es ging auch um die politische Demonstration - denn das Ende der Blockade war zu diesem Zeitpunkt bereits abzusehen.

Offizielle Stellen im Osten sprachen dagegen im Oktober 1948 vom „Luftbrücken-Bluff“, Handel und Industrie West -Berlins stünden kurz vor dem Untergang. Doch bis die Blockade so dicht war, wie es sich die Sowjetunion vorgestellt haben mag, vergingen Monate. Erst im Dezember 1948 begann die systematische Kontrolle der öffentlichen Verkehrsmittel an der Grenze West-Berlins und waren rund um die 170 Kiklometer umfassenden Westsektoren 92 Kontrollpunkte eingerichtet.

Den Westalliierten war genügend Zeit geblieben, die Luftbrücke zu perfektionieren. Im September 1948 überstieg die Luftbrückenkapazität erstmals den errechneten monatlichen Bedarf der Halbstadt. Nebel erzwang im November einen deutlichen Rückgang der Frachtmengen. Doch bald darauf macht ein neu eingerichtetes Radarsystem auch Blindlandungen möglich. Organisiert war die Luftbrücke nach folgenden Prinzip: die drei westlichen Berliner Stadtkommandanten ließen den Güterbedarf ihrer jeweiligen Sektoren ermitteln und gaben diese Zahlen an das „Combined Air Lift Task Force“ („Gemeinschaftliche Luftbrücken-Sondereinheit“) in Wiesbaden weiter. Dieses Amt unter US-Kommando zeichnete dafür verantwortlich, daß die deutschen Stellen die Waren auch lieferten. Die Lebensmittel stammten hauptsächlich aus dem Import der Bi-Zone, von westdeutschen Landwirten und aus Resten des Interzonenhandels.

Löcher in der Blockade

Von einer hermetischen Abriegelung der West-Sektoren konnte zunächst keine Rede sein. Durch die Absperrungsmaßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht wurde in erster Linie die Einfuhr der kontingentierten, nur auf Lebensmittelkarten erhältlichen Waren aus den Westzonen und der sowjetischen Besatzungszone unterbrochen. Die Versorgung eines „Normalverbrauchers“ wurde aber schon vor der Blockade aus zusätzlichen Quellen angereichert: Nicht nur durch hamstern, sondern auch vom Schwarzmarkt, auf dem zu horrenden Schieberpreisen fast alles zu haben war, oder über private Beziehungen.

Nach der Einführung der Westwährung im Westteil der Stadt wurde es für westzonale Unternehmer besonders attraktiv, waren nach West-Berlin zu exportieren, da dank der enormen Lebensmittelverknappung hier hohe Verkaufspreise in West -Mark erzielt werden konnten. Sogenannte „Blockadebrecher“ transportierten auf Nebenstraßen, abseits der abgesperrten Hauptverkehrslinien, Lebensmittel nach West-Berlin. Anfangs wurden die Hilfsgüter des „Hilfswerks Berlin“ - einem Zusammenschluß der westdeutschen Länder und Kommunen - auf diesem Weg nach West-Berlin gebracht.

Herr Schimpf und

Frau Schande

Trotz der beeindruckenden Geschlossenheit der West-Berliner Bevölkerung gegenüber dem Osten wird bei genauerem Hinsehen das harmonische Bild von den demokratischen Freiheitskämpfern getrübt durch die Drangsalisierung einer politischen Minderheit - der „SEDisten“ und anderer, die der Sympathie mit dem Osten verdächtigt wurden. Doch woran konnte man diese „schwarzen Schafe“ erkennen, sofern sie nicht als Funktionäre hervortraten?

Das Angebot der sowjetischen Besatzungsmacht und der Ost -Berliner Behörden an die West-Berliner Bevölkerung, sich für den Bezug ihrer Lebensmittel im Ostsektor einzutragen und dort einzukaufen, erleichterte es den West-Berliner Behörden, die Gegensätze unter den West-Berlinern zu verschärfen und den „inneren Feind“ auch persönlich zu erfassen. Nicht mehr als fünf Prozent der West-Berliner meldeten sich bei den Kartenstellen im Ostsektor. Eine kleine, aber keineswegs unbedeutende Minderheit; in den Arbeiterrandbezirken zum sowjetischen Sektor hin, stieg die Zahl der Osteintragungen sogar bis über zehn Prozent.

Egal, ob sie sich aus politischen Motiven oder wegen des materiellen Vorteils im Ostsektor eintrugen, das Verhalten dieser Mitbürger wurde in der West-Berliner Öffentlichkeit mit „Schimpf“ und „Schande“ belegt. Im Wedding schien man das Problem als besonders akut zu empfinden:

„In einer außerordentlichen Bezirksverordnetenversammlung wurde ein Antrag der SPD einstimmig angenommen, nach dem die ehrenamtlichen Sozialprüfer des Bezirks, die der SED angehören, durch Mitglieder der demokratischen Parteien ersetzt werden. Die Sozialprüfer der SED haben ihre ehrenamtliche Tätigkeit zu parteipolitischer Propaganda mißbraucht, und bei ihren Besuchen die Hilfsbedürftigen aufgefordert, ihre Lebensmittelkarten im Ostsektor eintragen zu lassen.“

Die formale Begründung für die Maßnahme fiel nicht schwer: Die SED hatte nicht an den Wahlen im Dezember 1948 teilgenommen, war also nicht in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten und sollte dementsprechend von den Ehrenämtern ausgeschlossen sein. Konkret bedeutete das die Entlassung von etwa 250 ehrenamtlichen Mitarbeitern der Sozialkommissionen im Wedding.

Die Osteintragung erweist sich nun als willkommene Begründung, um bei den verschiedenen bürokratischen Vorgängen Berechtigungen und Ansprüche zu reduzieren oder ganz zu streichen. Sozialrentner, die im Osten eingetragen sind, dürfen nicht wie die anderen 15 Mark (Ost) in 15 Mark (West) eintauschen. Im Osten eingetragene „Opfer des Faschismus“ erhalten 90 Prozent ihrer Rente in Ostmark und sind darüberhinaus von allen Sonderunterstützungen und Sachleistungen (Steuervergünstigungen, Mietbeihilfen, Lebensmittel, Kleidung, Vorrang bei der Zuteilung von Wohnraum, kostenlose Überlassung von Mobiliar) ausgeschlossen.

Zum „Russen“ gezogen sind wenige. Die ausreichende Versorgung aus westlichen wie östlichen Quellen während der Blockade ermöglichte vor allem eines: die Wahl für den Westen. Fürs Hamstern im Osten mußte kein Mensch über seinen „politischen Schatten“ springen. Die geringe Zahl der Osteintragungen erklärt auch der Umstand, daß sie offensichtlich nicht nötig waren. Die West-Berliner hatten noch andere gute Gründe, den Anschluß an den Westen zu suchen und dabei in Kauf zu nehmen, daß sie zugleich die Spaltung der Stadt riskierten. Obwohl die Versorgung des französischen Sektors in der unmittelbaren Nachkriegszeit eindeutig die schlechteste war, nahmen viele die bessere Versorgungslage im sowjetischen Sektor überhaupt nicht wahr: „Wir wußten doch, wie's in der Zone aussah.“

Andreas Hallen und Thomas Lindenberger sind Mitglieder der Berliner Geschichtswerkstatt und die Autoren dieses Textes.