SHAKESBURGERKINGS

■ 24 Stunden „Rosenkriege“ zu Gast im Schillertheater

Auch wenn Michael Bogdanov, designierter Zadek-Nachfolger am Hamburger Schauspielhaus, in der Pressekonferenz bemüht ist, seiner Inszenierung der Shakespeareschen Königsdramen den eleganten Touch des Understatements zu geben, der durch die Gleichsetzung der Familienstreitigkeiten in Dallas mit den Königsschlachten auf der britischen Insel entsteht, geht diese simple „Soap-opera„-Gleichung am Ende nicht auf. Aber soll man das wirklich bedauern? Oder ist eher erfreulich, daß hier die Rechnung ohne den Wirt Shakespeare gemacht wurde. Hätte man sich wirklich 24 Stunden lang „fast food“ in Augen und Ohren stopfen lassen wollen? Muß auf die Cannes -Rolle der Shakesburger folgen?

Ein Fernseh-Marathon fürs Guiness-Buch ist sicher von noch perverseren Motiven getragen, als die Entscheidung, sich nicht nur freiwillig, sondern erst nach Erwerb einer Eintrittskarte hundert Jahre englische Geschichte in sieben Shakespeareschen Historien anzuschauen. Um dem Zahlenfetisch weiter zu huldigen: Ca. 250 Rollen in den Shakespeareschen Stücken werden von 28 Ensemblemitgliedern gespielt, dem stehen allerdings nur „sage und schreibe“ 13 Wochen Probezeit für alle sieben Stücke gegenüber, das gibt 24 Stunden Theater an 2,5 Tagen, nur unterbrochen von kurzen nächtlichen Ruhepausen. Das ist genug Zeit für Alpträume von unzähligen gemeuchelten halbseidenen Intriganten, die alle aufs Schrecklichste vom Leben zum Tode gebracht wurden. Dieser wochenendliche Marathon hinterläßt seine Spuren und zeichnet Zuschauer, Schauspieler und streckenweise auch die Aufführung. Bei Massenszenen, und davon gibt es in den Königsdramen viele, wenn vor einem vielköpfigen Parlament der König einen Monolog hält, oder der Kriegsrat tagt, sitzen oder stehen mindestens zehn Schauspieler einfach so herum und warten ab. Das mag ein oder zweimal, bewußt angewendet sogar als Stilmittel der Aktualisierung durchgehen. Etwa mit der Begründung, im Bundestag rede schließlich auch immer nur einer, und die anderen säßen noch nicht einmal auf ihren Plätzen, denn wie man in den Nachrichten sehen könne, blieben die Stühle oft leer. Auf die Dauer von sieben Stücken liegt hier einer der heikelsten Punkte des Regiekonzepts. Auch die altmodische, die Bühne frontal bespielende Inszenierungsweise wirkt nur auf den „kontinentalen“ Zuschauer befremdlich und anachronistisch angesichts des lebendigen, unverbrauchten Engagements der English Shakespeare Company. Um es zum hundersten Mal zu sagen, dies ist nicht die Royal Shakespeare Company, die sitzt immer noch in Stratford-upon-Avon und London.

Das große, fast grenzenlose Vertrauen, das der Regisseur Michael Bogdanov auf äußerst sympathische Weise in alle Schauspieler setzt, rechtfertigen diese nicht ausnahmslos und vor allen Dingen nicht in jeder Minute (24 Stunden x 60 1.440 Minuten). In den Wirtshausszenen mit Falstaff Barry Stanton spielt diese komische Figur voll aus und reißt alle mit - entwickelt sich auf der Bühne auch das stumme Spiel der Nebenfiguren aufs Pantasievollste. Hier wird nach Herzenslust gesoffen und ordinär gespielt, egal ob mittelalterlich fett oder gegenwärtig punkig. Auch die chorische Volksszene, mit der Heinrich der IV. ausklingt, funktioniert durch die Art der aktualisierenden Inszenierung. Der heruntergekommene Falstaff, Saufkumpan des Prinzen aus früheren Zeiten, zieht ihm jetzt bei der Krönungsfeierlichkeit mit dem Schlachtruf der Hooligans entgegen. In diesem wirklich verblüffenden Aufeinanderprall von zwei Welten und Epochen wird sehr sinnfällig, daß der König diesen Falstaff verstößt. Wenn das Thema der englischen Frankreicheroberung in „Henry V.“, ein beim Lesen penetrant patriotisches Stück Shakespeares, das nur als Propaganda für die elisabethanische Außenpolitik zu verstehen ist, fortgesetzt wird, kennen wir die Schlachtenbummler schon. Senkt sich der Vorhang nach dem 5. Akt des 4. Heinrichs, donnert erstmal der eingängige Hit „You're in the Army now“ - sicher zu laut für Friedrich Luft - aus den Lautsprechern. Das englische Fußvolk, das da in die Schlacht zur Eroberung Frankreichs geschickt wird, stürmt dem Feind ganz zeitgenössisch entgegen. Da flattert der Union Jack, es lärmen Rätsche und Tröte, und aus allen kehlen gröhlt es gleichermaßen furchteinflössend wie passend: „Here we come!“ Von der Galerie hängt ein Transparent: „Fuck the Frogs!“

So wirkungsvoll geraten die Aktualisierungen in den Stücken fast ausnahmslos. Bei der Prüfungsfrage des Gegenwartsbezugs konnte der Shakespeare-Interpret Bogdanov glänzen. Die Mittel sind gut gewählt. Dankbar registriert man, daß die Namen Thatcher oder Reagan nicht fallen und dennoch ein Zeitbezug jederzeit spürbar ist. Wenn etwa Jeanne d'Arc, nachdem (!) Mißerfolge auf dem Schlachtfeld eintraten, von ihren Landsmännern als Hexe verbrannt wird, steht sie nicht auf einem mittelalterlichen Scheiterhaufen aus der unsäglichen Eco-Verfilmung beispielsweise, sondern im Schattenriß sehen wir, wie die südafrikanische Lynchmethode zur Anwendung kommt. Um den Hals ein Autoreifen mit Benzin gefüllt und schon lodern die Flammen, zur Genugtuung der männlichen Machthaber.

Cut oder Parka? Das ist hier

die Frage!

Kontinuierlich zieht sich durch die ganzen Königsdramen das Konzept der eklektizistischen freien Stil- und Epochenverwendung. Da es in Shakespeares tendenziöser Geschichtsauffassung des Zeitraums von 1377 bis 1485, also von Richard II. über Henry IV. (Teil 1 & 2), Henry V., Henry VI. (Teil 1, 2 & 3) und bis zu Richard III. sowieso immer nur um das Eine geht - Bogdanov in der Pressekonferenz: „Dicker als Wasser ist nicht Blut, sondern Ehre und Macht“ wählt die English Shakespeare Company eine gelungene Visualisierung durch die Kostüme. Die arrivierten Machtinhaber, der auf dem Thron sitzende König und die Lords und Dukes an seiner Seite, tragen steife, hochgeschlossene, historisch stilisierte Kostüme. Für das Zivilleben bietet sich da der Cut an, herrscht wieder einmal Krieg, tragen die Herren prunküberladene Uniformen mit schweren goldenen Epauletten, nicht unter ein Pfund Orden und - wie kannes ohne Hannes sein - ein langes, langes Schwert, links (!). Mit diesen an Kaiser Wilhelm oder die Verfilmung des Radetzkymarsches erinnernden Kostümen konstrastieren die der Rebellen. Egal, ob für eine gerechte oder ungerechte Sache aufbegehrt wird, die Kleidung ist hier zweckmäßig modern, man trägt Parka oder Jeans.

Während der 24 Theaterstunden, in denen hundert Jahre englische Geschichte verstreichen, werden die Kostüme immer moderner. So daß wir Richard III. im Nadelstreifenanzug und phasenweise sogar mit Mafiosi-Sonnenbrille bewundern dürfen. Von ähnlichem Einfallsreichtum sind die Lösungen für requisiten und Bühnenbild getragen. Hat er endlich alle elf im Wege stehenden Familienmitglieder und Bundesgenossen auf dem Weg zur Macht umgebracht oder umbringen lassen, sitzt er sogar an einem Managerschreibtisch mit Computeranlage und Tastentelefon.

Fliegende Umbauten

Weil bei Shakespeare die einzelnen Szenen relativ kurz sind, also ständige Bühnenumbauten den Rhythmus des Stücks zerreißen würden und die Gruppe ohnehin als Tournee-Theater konzipiert ist, finden die offenen Umbauten im fliegenden Wechsel statt. Ist eine Szene abgespielt, verdunkelt sich die Bühne und der Schauspieler trägt im Abgehen gleich den Stuhl fort, auf dem er gesessen hat. Die Mörder sind angewiesen, ihre Bühnenleichen zu schultern und aufzuräumen. So war es auch im Globe Theatre in London. Dann bringen von der anderen Seite zwei einen Karren mit, auf dem Waffenkisten gestapelt sind, aus dem Bühnenhimmel fällt ein Tarnnetz über das Ganze, und schon hat sich im neuen Licht die Bühne von Palast zum Schlachtfeld gewandelt. Das alles geschieht vor den Augen des Zuschauers in solch rasender Schnelle und Eleganz, daß man hier kindlich glücklich über die Zauberei staunt. Auch kann man sich mit dem Spielchen vergnügen, die immer wieder neue Verwendung der Grundrequisiten zu entdecken. Der leichte Karren auf Gummireifen wandelt sich vom fahrbaren Totenbett zum Milchwagen, zum rollenden Thron für den faulen, fetten Falstaff bis zum Jeep durch aufgestellte Scheinwerfer und wird wieder zum Leichenwagen, denn daran herrscht großer Bedarf in Shakespeares Stücken.

Leider beschlich mich manchmal das Gefühl, diese Umbauten und fliegenden Wechsel seien besser geprobt und durchgearbeitet als etwa die Kampf- und Fechtszenen selbst. Mitinszeniert sind sie allemal, für kleine Umbauten wenig Licht, für größere Umbauten fast gar kein Licht, dann ist hinterher die Überraschung um so größer.

Freut sich der nicht englischsprachige Zuschauer über die wohlklingende und melodiös artikulierte englische Sprache, so muß der Liebhaber der Körpersprache auf den Brettern, die die Welt bedeuten können, den Hang zum Rezitieren bemängeln und Verluste bei den klassischen Zweikämpfen hinnehmen. Die machtgeilen Fighter wirken streckenweise einfach lahm und schwerfällig. Häufig droht die Aufführung an Tempo und Lebendigkeit zu verlieren.

Die Schlußszene des Stücks, auf die die Inszenierung hinsteuert und die den Abschluß des ganzen Zyklus der Königsdramen bildet, ist wieder ein furios gelungener Knalleffekt a la Bogdanov. In der Regieanweisung für Akt V, Szene V heißt es bei Shakespeare: „Getümmel. König Richard und Richmond treten auf und gehen fechtend ab. Rückzug und Tusch. Hierauf kommen Richmond, Stanley mit der Krone, verschiedene andere Lords und Truppen.“ Aus dieser Einleitung für die im übrigen äußerst tendenziöse Rede Richmonds, mit der Shakespeare Propaganda für Elisabeth I. Regierungsanspruch betreibt, entstehen hier zwei große Bilder. Erst geht es, nachdem in den letzten Stunden schon in nahezu neuzeitlichen Kostümen und mit dem Computer als Machtinsignie gespielt wurde, zurück ins romantischste Mittelalter. Richard und Richmond fechten in gold- und silberglänzenden Papprüstungen mit den schon bekannten Schwächen und Riesenschwerten. Dann erlischt das warme gelbliche Licht - und es entsteht ein Fernsehstudio mit fahrbarer Kamera und einer großen Anzahl herumwuselnder Techniker, Assistenten und Aufnahmeleitern, die offensichtlich die Übertragung einer Regierungserklärung vorbereiten. Nun kommt Richmond herein, nimmt nach obligatorischem Händeschütteln mit dem Boß der Sendeanstalt am polierten Schreibtisch hinter dem Mikrophon Platz, erscheint parallel dazu auf den ins Publikum geschwenkten Videoschirmen und verliest nun den Text, der auch bei Shakespeare an dieser Stelle steht. „Amen!“ Alle stehen auf und es folgt ganz britisch „God save the King.“

Susanne Raubold