Skinhead-Überfall auf Jugend-Zeltplatz

■ 17jähriger Schüler aus Delmenhorst brutal zusammengeschlagen / 50 Camper guckten weg, als fünf Skins zuschlugen / In Delmenhorst herrscht „regelrechter Bandenkrieg“: Nur noch bewaffnet in die Stadt

Donnerstagnacht, Zeltplatz Steller See bei Delmenhorst, 50 Jugendliche in ihren Zelten und in Sommerferien-Sauflaune. Plötzlich verdrückt sich alles in die Zelte, sieht nichts mehr, hört nichts mehr. Fünf jungendliche Skinheads donnern in schweren Springerstiefeln, Fliegerjacken und mit kahlrasierten Schädeln in die billigbier-gedämpfte Gemütlichkeit. Die Skins suchen offensichtlich Zoff, und sie suchen den 17jährigen O. Bei ihm vermuten sie ein grünes T -shirt mit den aufgesprühten Initialen „ASL“: „Anti-Skin -Liga“.

„Hol Dein ASL-Hemd raus!“ O. hat Angst, holt das Hemd aus dem Zelt, sieht zu, wie es unter Johlen und Gröhlen zerrissen wird, hofft, daß die Skinheads sich damit ausgetobt haben. O. irrt. Der Wortführer, unter Delmenhorster Jungendlichen nicht zuletzt wegen vielfacher Schlägereien bekannt wie ein bunter Hund, reißt ihn zu Boden und rammt ihm einmal, zweimal, dreimal, viermal sein Knie gegen Brust und Kinn. O. fühlt sich alllein. Der vor Minuten noch gutgelaunte Zeltplatz ist wie leergefegt, alle haben sich verpißt oder in ihre Zelte verkrochen. Niemand will etwas sehen, niemand hilft ihm. Selbst seine beiden Freunde haben es vorgezogen, zu verschwinden. Immerhin: Sie alarmieren die Polizei.

„Wir sind Neo-Nazis“

Derweil muß O. ein makabres Frage-und-Antwort-Spiel spielen. Die Skins wollen wissen, was er von Skins hält. O. versucht salomonisch zu antworten. Er habe nicht grundsätzlich etwas gegen Skins, nur gegen Neonazis. „Wir

sind Neonazis!“ Nach jeder Antwort landet ein Faustschlag in seiner linken Gesichtshälfte. Erst platzt über der Augenbraue die Stirn auf, dann schwillt das linke Auge zu, die Lippen verquellen, sein Gesicht ist blutüberströmt. Als O. endgültig am Boden liegt, treffen ihn Springerstiefel mehrfach in Bauch und Rippen. Die einzige Frau in der Skinhead-Schlägertruppe, schlägt vor, „den Kerl endgültig fertig zu machen“, weil sie „auch noch ein paarmal reintreten will.“

Es ist O.s Glück, daß der Anführer für diesmal davon absieht, ihn endgültig „fertigzumachen“. Die Schlägerbande zieht ab. Ein paar Minuten später ist die Polizei da, sucht den Platz mit Scheinwerfern ab, findet O. schließlich zusammengekrümmt in seinem Zelt und bringt ihn ins Delmenhorster Krankenhaus. Auf den Zeltplatz kehrt allmählich die gute Laune zurück.

Rote und blaue Veilchen

Als O. am Freitag im taz-Büro erscheint, ist sein Gesicht immer noch rot und blau, das linke Auge zugeschwollen. was ihm passiert ist, erzählt er nur unter der Bedingung, daß sein Name nicht genannt wird. Er stand schon einmal in der Zeitung. Sogar mit Foto. Damals hatte die Anti-Skin-Liga Neonazi-Parolen übersprüht. Die Delmenhorster Lokalzeitung hatte von der Aktion berichtet, bei der Parolen wie „Juda verrecke“, „Sieg heil“, „Ausländer raus“ und „Rot Front verrecke“ von Delmenhorster Mauerwänden verschwanden. Nach der brutalen Zeltplatz-Prügelei hat O. Angst, sich mit Foto und Namen noch einmal in einer Zeitung zu ent

decken.

Daß sein Fall in Delmenhorst kein Einzelfall ist, belegt allein folgende Tatsache: Schon am Vorabend der Schlägerei waren Skinheads über den Zeltplatzt gestreift und hatten den saufenden und albernden Jugendlichen einen viel größeren Spaß vorge

schlagen: „Wer kommt mit nach Bremen, Türken klatschen?“ Ausländer und Mitglieder der „Anti-Skin-Liga“ leben in Delmenhost seit Jahren gefährlich. Wenn Neonazis „vergasen“ spielen, werden Ausländer in Telefonzellen eingesperrt, in die anschließend Tränengas gesprüht

wird.

In der „Anti-Skin-Liga“ auf der anderen Seite haben sich inzwischen die „Opfer“ zusammengeschlossen: Per Telefonkette kann jedes Mitglied gegebenenfalls schlagkräftige Hilfe mobilisieren. „Es herrrscht regelrechter Bandenkrieg“, erklärt ein

Bekannter O.s, der sich schon seit Monaten nur noch mit einem Knüppel in die Stadt traut. Auch O. will sich künftig besser schützen. Bei einem Sportstudio will er eine „Anti -Terror-Kampfausbildung“ machen. Bis er „perfekt“ ist, will er wenigstens eine Gaspistole mitnehmen.

K.S.