7 VERSUCHE ÜBER DEN SCHROTT

I. Ans Herz gewachsen war mir ein Schrottplatz, der direkt neben der Autobahn lag. Auf dem Dach eines Busses hockte wie eine Kröte ein Gogomobil. Als ich Jahre später noch einmal durch diese Stadt fuhr, ohne anzuhalten, hupte ich wenigstens dem Gogomobil zu. Der Schrotthändler hatte damit der Kleinstadt neben ihrer gotischen Kirche ein zweites Wahrzeichen geschaffen. Eine Volkskunst-Variante der Stahlskulptur.

II. Über mein Auto, das ab und an lieber stand als fuhr, machte der Rest der Wohngemeinschaft immer blöde Witze. Sie wollten mir die Adresse einer Schrottpresse geben, da könne ich die Kiste nachher ins Regal stellen. Ha, ha, ha. Wahrscheinlich hat das meine Aufgeschlossenheit für Schrottskulpturen getrübt. Auch mein Verhältnis zum Rost ist nicht frei von der Sorge um jene Flächen am Auto, in die vornehmlich männliche Bekannte mit schadenfrohem Grinsen ihre dicken Finger bohren. Ein Mechaniker erzählte mir schließlich was vom Flugrost, der die Bremsscheiben zerfressen habe, und jeder, dem ich das weitersagte, sah mich schräg an und schüttelte ungläubig den Kopf. Rost war auch die Ursache dafür, daß mein Auspuff auf der Transitstrecke liegen blieb, während der Rest sich gerade noch über die Grenze rettete.

III. (An dieser Stelle sollte nun eigentlich die chemische Formel für Rost stehen; aber da ich alle Chemie- und Physikbücher aus Schulzeiten fortgewworfen habe, frage ich einen Freund. „FeO2“ schägt er vor.)

IV. Wo bleibt die Vision von der Zärtlichkeit des Rostes, der das Harte und Glatte erst rauh macht, dann porös, brüchig, durchlässig, bis das Eisen wieder zu Staub zerfällt? Wo bleibt der Traum vom Rost als für die Wiederkehr der Natur kämpfender Rächer, der die Stahlstadt zersetzt, bis wieder das Gras aus ihnen wuchert? Rostrot fließt das Wasser aus den Eisenbergen, und wer davon trinkt, wird groß und stark. Eisen im Blut für den Eisenhans in einer neuen Wildnis.

V. Das Bild von einem dicken Mann geht mir nicht aus dem Sinn, das vor einigen Jahren durch viele Zeitungen geisterte. Er hatte einen ganzen VW-Käfer verspeist. Stahl wurde verdaut.

VI. Eine andere Metamorphose des Stahls ist die Kunst: Bleche, Rohre, Federn, Bänder, Roste, Stäbe, Gitter und zu undefinierbaren Klumpen geschmolzene Masse - und der ganze Schrott wird neu zum Rohstoff. Und wieder werden Knautschzonen ausgetestet, Balance gesucht, durchbohrt und durchbrochen, gewunden, gedreht und gezogen, zersägt, getrennt, verschraubt, geschweißt, bis jedes Teil von seinen alten Funktionen kaum noch etwas weiß und sich wie ein Steinchen im Kaleidoskop neu in ein anderes Bild fügt. Weil es dabei laut zugeht, weil es kracht, hämmert und schrillt wie beim Zahnarzt, weil es staubt und stinkt (? falsch), deshalb nennt sich die Gruppe ODIOUS: fünf Bildhauer und eine Bildhauerin, die alle ihre Kellen tief in den heißen Fluß des Stahls eintauchen.

KBM