Ende der Gesundbeterei

Eine Menschenkette zur Rettung der Nordsee  ■ K O M M E N T A R E

Der Aktionstag an der schleswig-holsteinischen Küste markiert einen Wendepunkt im Umgang mit der galoppierenden Verseuchung von Nord- und Ostsee. Über ein volles Jahrzehnt entlud sich der Zorn der Tourismus-Manager über das Siechtum ihrer Haupteinahmequelle nicht an den Verursachern, sondern an den Überbringern der schlechten Nachrichten, den Umweltschützern. Abwiegeln lautete die unumstrittene Devise. Die UrlauberInnen ließen sich gern einlullen: Mehr als verölte Füße hatte man sich schließlich selten geholt. Das ist nun vorbei. Schon die Optik zwingt zum Umdenken: Die jämmerlichen Bilder verreckter Seehund-Babies und Schaumteppiche überall lassen sich nicht verdrängen. Heute sind es die Tourismus-Oberen des Nordseebäder-Verbandes selbst, die verhindern, daß das Thema (mitsamt den Politikern, die sich längst andere Strände suchen) endgültig im Sommerloch verschwindet.

Die „Aktionskonferenz Nordsee“ hat sich in die Schmollecke zurückgezogen und die Aktionen des Wochenendes als „großangelegte Werbekampagne der Tourismus-Manager“ entlarvt. Da mag was dran sein. Schließlich gerieren sich plötzlich Leute als Spitze der Bewegung, die zuvor die Aktivisten der „Aktionskonferenz“ immer wieder haben auflaufen lassen. Aber Verbitterung ist ein schlechter Ratgeber. Was auch immer sich die Aktionstag-Initiatoren der Tourismus-Branche gedacht haben mögen, hinter das Ergebnis werden sie nicht mehr zurückkönnen: Die meisten Sylt -Urlauber, die sich jetzt am Nordsee-Strand protestierend die Hand reichten, gehörten bisher wohl kaum zum klassischen Potential der Ökologie-Bewegung. Es ist anzunehmen, daß sie in Zukunft genauer hinsehen, wenn mal wieder ein Umweltminister auf der Sandbank eintrifft, um ein Seehund -Baby zu retten - oder ein Kurdirektor die Nordsee gesundbetet.

Gerd Rosenkranz