Kampf um einen Platz an der Sonne

■ Schöneberger Mieter fürchten um ihren Naherholungsraum: Wegen eines Neubaus sollen ihre Balkone abgerissen werden / Bausenator hält das Schließen der „Baulücke“ für städtebaulich wünschenswert / Exemplarische Auseinandersetzung über Blockrandschließung

Besinnt sich der Bausenator nicht noch eines Besseren, werden etliche Sozialwohnungsmieter an der Martin-Luther -Straße 64 nach ihrer nicht von der Hand zu weisenden Befürchtung in Zukunft „nie mehr Sonne“ sehen. Ihre Sorge gilt den Plänen des Haus- und Grundstückseigentümers, eines Münchener Lufthansa-Mitarbeiters, der direkt an der Ecke des Hauses zur Rosenheimer Straße einen fünfgeschossigen Neubau hinsetzen und dafür alle vorhandenen Balkone an der Südseite abreißen möchte.

„Wir könnten da nicht bleiben - die Bäume auf dem Hof bekommen keine Luft mehr und wir auch nicht“, empört sich die Sprecherin der Bewohner, die 78jährige Erika Bogdanski. Der Meinung ist auch Schönebergs Baustadtrat Uwe Saager (SPD), der mit Rückendeckung aller Fraktionen in der BVV bereits zweimal eine dichtere Bebauung des Grundstückes ablehnte. Saager: „Das brächte eindeutig eine Verschlechterung. Die Mieter verlören ihre Südbalkone und dann kämen auf den Hof noch mehr Autoabstellplätze hinzu, weil keine Tiefgarage vorgesehen ist.

Obwohl die beabsichtigte Eckbebauung die zulässige Ausnutzung des Grundstücks um fast das Doppelte überschreitet und deshalb nur im Wege umfangreicher Befreiungen möglich ist, kümmern den Bausenator diese Bedenken nicht. Er will jetzt einen positiven Bauvorbescheid erteilen. Die denkwürdige Rechtfertigung des neuen Leiters seiner Bauaufsichtsabteilung, Frieder Bühring: „Da die Innenstadt sowieso überbaut ist, muß einem Antrag schon aus Gründen der Gleichbehandlung zugestimmt werden. Eine solche Maßnahme ist auch wünschenswert, weil eine Baulücke geschlossen wird und darauf elf Wohnungen für Familien mit Kindern entstehen sollen.“ Die von ihm auch gesehene Verschlechterung der Wohnqualität der ansässigen Mieter habe hinter städte- und wohnungsbaupolitischen Zielsetzungen zurückzustehen, sagt Bühring. Auf der gleichen Linie hatte schon der Beratungsausschuß in seinem Hause von der „homogenen Eckschließung“ geschwärmt und Anfang März einem Widerspruch des Eigentümers gegen die erstmals verweigerte Baugenehmigung stattgegeben. Die geplante Schließung der Ecke sei nicht akzeptabel, denn man müsse von einer „unechten Baulücke“ sprechen, schrieb Saager daraufhin an Senator Wittwer. Er bat zu beachten, daß auch nach Auffassung des Umweltsenators keine Genehmigung erteilt werden dürfe.

Das weist auf einen grundsätzlichen städtebaulichen Konflikt: Nach den damaligen Vorstellungen eines aufgelockerten Städtebaus zog man den Sozialwohnungsbaukomplex an der Martin-Luther-Straße vor rund 25 Jahren bewußt in halboffener Zeilenbauweise hoch und gestaltete die Ecke zur Rosenheimer Straße als Grünfläche. Mittlerweile gilt das Streben nach Licht, Luft und Sonne durch eine maßvolle Wohnbaudichte aber wieder als „Bausünde“ und die Ideologie der geschlossenen, massiven Blockrandbebauung von anno dunnemals feiert fröhliche Urständ. Bei der - inzwischen als gegeben hingenommenen Lärmentwicklung des Verkehrs schaffen hermetisch geschlossene Häuserblöcke mit fünf und mehr Geschossen ein sehr viel besseres Wohnklima, heißt es. Demzufolge will der Bausenator in der City auf Teufel komm raus jede Baulücke schließen.

Im konkreten Falle schert den Bausenator dabei nicht, daß der Münchener Eigentümer gar nicht selbst bauen möchte, sondern im Gegenteil versucht, seine Liegenschaft lukrativ an einen Baulöwen zu verscherbeln. Im April 1987 war das Grundstück samt Haus schon für 1,35 Millionen Mark von der Klingbeil Wohnbauten GmbH erworben worden, doch da die Mieter dem Abriß der Balkone nicht zustimmten, machte die Gesellschaft nach der Aussage ihres Geschäftsführers den Kauf rückgängig.

Wie der Eigentümer weiter zu seinem Ziel zu kommen versuchte, schildert der Mieter Bernd Müller: „Die Mieter hatten an der Ecke vor dem Haus einen Garten angelegt und Blumen, Büsche und Essigbäume gepflanzt. Das wurde im Herbst von irgendjemandem so plattgemacht, daß wir schon glaubten, demnächst kommt eine Planierraupe und der Neubau geht los.“

thok