Pornotopia oder die zweigeteilte Frau

■ Pornographie als kulturelles Medium impliziert die Spaltung des Frauenbildes / Logik der Produktion führt zu immer weiteren „Grenzüberschreitungen“ / Zivilklagen könnten „Gewaltspirale“ anhalten / Doch es geht um mehr als kurzschlüssige Verbotskampagnen

Die Auseinandersetzung mit Pornographie fällt Feministinnen schwer. Sie hat einerseits unseren kulturellen Alltag durchdrungen, ist in Werbung, Zeitschriften und Fernsehen allgegenwärtig. Also haben wir großenteils gelernt, „darüber hinwegzusehen„; entblößt arrangierte Frauenkörper lösen sich in Linien und Farbe auf, und nur bei besonderen Provokationen betrachten wir das Bild und seine frauenfeindliche Botschaft wirklich. Andererseits ist die Pornographie im engeren Sinne ein von Männern geschaffenes Produkt, das in spezifischen Kanälen von Männern weitergegeben wird. Frau bekommt es also in der Regel nicht zu Gesicht.

Inzwischen hat sich als feministische Technik des Zugangs der Lokaltermin herausgebildet: Eine Gruppe von Frauen betritt gemeinsam den Pornoshop, macht je nach Lust und Laune einige anwesende Männer an oder versucht zunächst nur, die verschiedenen Sparten des Sortiments ins Auge zu fassen und zu überblicken. Das flaue Gefühl im Magen vor dem Tritt über die Schwelle kann durch die Stützwirkung der Gruppe überwunden werden. Teil der Besichtigung ist die folgende gemeinsame Vergewisserung im Gespräch. Sie „vergesellschaftet“ die Gefühle von Empörung, Erbärmlichkeit und Angst, die der Anblick von Serien wie „ich machte sie zu meiner Frau und dann zu meiner süßen Sau“ oder „Thai Lolita“ hervorruft. Aber auch dann ist das schale Aufstoßen bei der Wiederkehr der Bilder abends, die plötzliche Distanz in der sexuellen Begierde, wenn diese sich plötzlich „dazwischendrängen“, nicht vorbei. Und zusätzlich verwandelt sich die in Pornos demonstrierte Gewalt und Verachtung von Frauen in Angst. Nicht zufällig geben viele Frauen die Beschäftigung mit Pornographie wieder auf.

Hier zeigt sich, wie effektiv die Kanalisierung von Pornographie ist: als ich Freundinnen von meinen Beobachtungen berichtete, unter anderem von den obigen Heftsorten, konnten sie das kaum nachvollziehen. Es ist, als gäbe es zwei Städte: in der einen gibt es Frauen auf den Straßen, in den Betrieben, Schulen, beim Einkaufen und an den Spielplätzen. Zur zweiten Stadt, Pornotopia, führen die Schwingtüren der Sexshops: Hier laufen Frauenbilder einher, die in buchstäblich jeder Lebenslage Sexualobjekt sind (vergleiche unter anderem die Serie „Sex mit Schwangeren“), die lustvoll vertiert dargestellt werden (vgl. die Serie „Ich machte sie...zu meiner süßen Sau“) oder Ketten und Peitschen genießen sollen.

Und während die Frauen in der oberirdischen Stadt kämpfen um sexuelle Befreiung, um bessere Lohnarbeitsplätze, um neuen Respekt vor der Mutterarbeit, wachsen die Frauenbilder und ihre Sparten in den pornographischen Kanälen. Hier zeigt sich eine Spaltung der Frauenbilder im Bewußtsein der Männer - die auch Frauen erreicht - die von der Hinnahme oder seltenen Anerkennung des Bildes der zunehmend anspruchsvollen jungen Frau zum anderen Extrem des pornographischen Opfers reicht.

Was ist Pornographie?

Zum Begriffsstreit

Die konservativen Richtungen haben Pornographie als „sexuelle Materialien“ definiert. Demgegenüber hat ein Teil der Frauenbewegung sie als Gewaltliteratur zusammengefaßt, wie es in dem Motto „Pornographie ist die Theorie und Vergewaltigung die Praxis“ anklingt. Zwar wurde damit der herrschende Sexualbegriff kritisiert, indem auf die patriarchalischen Gewaltverhältnisse verwiesen wurde. Doch besteht insofern eine Nähe zur konservativen Position, als beide sich nach den Inhalten und ihrer Funktion für wirkliche Handlungen von Männern richten.

Der konservativen Position ging es um die unkontrollierte Sexualität: Pornographie erlaube sowohl sexuelle Phantasien als auch Masturbieren und sprenge in diesem Sinne die Kontrolle durch strikte Sexualnormen. Die linke Kritik konnte diese Vorstellung im wesentlichen umdrehen, also einfach vertreten, daß der Wegfall dieser Kontrolle schon die sexuelle Befreiung bringen würde. Einige Feministinnen hielten der verwirklichten Porno-Liberalisierung nun die Versklavung, Vergewaltigung und Tötung von Frauen in ihrem Fortgang vor. Und sie betonten das Verhältnis von Porno und männlicher Praxis gegenüber der vermeindlichen „Unschädlichkeit„; Pornos stacheln nicht zur Sexualität, sondern zu sexueller Gewalt gegen Frauen auf. Damit haben sie nur zum Teil recht. Ich befürchte, daß diese Definition zwar eine Kampagne, nicht aber eine langangelegte Auseinandersetzung um Pornographie trägt.

Zunächst erscheint der Porno als Ideologie im Sinne einer einfachen Wiederspiegelung: die reale Gewalt gegen Frauen wird hier bildlich ausgedrückt und gefeiert. Es geht schnell darum, nachzuweisen, daß Pornos als didaktische Schriften wirken, also tatsächlich bei Vergewaltigungen eine Rolle spielen, als wäre das entscheidend. Weiter treten alle Männer als Negativ-Helden auf; Unterscheidungen zwischen Produzenten, Konsumenten und Nichtkonsumenten verschwimmen zugunsten des Bildes vom Jedermann-Vergewaltiger, der damit eine ungeheure Macht erhält. Darunter steht potentiell das Jederfrau-Opfer. Der angeschlagene, „kaputte“ Mann, der allerdings auch von Pornographie-Verteidigern eher weinerlich beschworen wird, scheint hier nicht mehr präsent.

Schließlich rücken die Fragen der möglichen Unterdrückung durch Zensur und der sexuellen Befreiung auch der Frauen eher an den Rand der Debatte. Die Gewalt-These enthält eine Alltags-Plausibilität und einen unmittelbaren Aktionsdruck, die solche Weiterungen und Differenzierungen erschweren. Zunächst geht es um die Bekämpfung der Gewalt, dann werden wir weitersehen... Was aber, wenn Pornographie eine wesentlich komplexere und deswegen resistentere Erscheinung ist?

Pornographie

kulturelles Medium

für männliche Betrachter

Eine andere Richtung, der ich mich anschließe, sieht die Pornographie als spezifisches Ausdrucksmittel einer patriarchalen Kultur. Die offenen Gewalt-Bilder erscheinen als die Spitze des Eisbergs von Sexismus und Rassismus; wenn sie gekappt wird, dehnt er sich langsamer aus, verliert an Macht, die wirbelnden Fluten der sexuellen Emanzipation erneut zu fixieren. Doch die Vereisung der Zwischenmenschlichkeit, die im erzwungenen Schweigen der Frauen in der Pornographie ausgedrückt wird, durchzieht die spätkapitalistische patriarchale Kultur insgesamt.

Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Kappeler spricht von einer symbolischen Repräsentation, die eine eigene Methode hat: Männer inszenieren die Pornographie, indem die Körper von Frauen als Objekt vorgeführt und degradiert werden. Sie kreist den Pornographen als Produzenten auch „irrealer“ Bilder ein:

„Der Pornograph ist der Sprecher der pornographischen Äußerung, ob er sich darstellt oder nicht. Er kommuniziert mit einem anderen Subjekt, dem Betrachter oder Leser. Er macht die Frau zum Objekt und zum Opfer für den Betrachter. Ist das Herrensubjekt im Bild selbst dargestellt, so wird die Frau zweifach verdinglicht: einmal als Opfer der dargestellten Gewalthandlung im Inhalt selbst und ein zweites Mal als Objekt der Darstellung, als Objekt des Betrachtens. Die erste Verdinglichung ist fakultativ, die zweite ist immer vorhanden, ein grundlegendes Element der Struktur der Darstellung.„1

Ich betrachte Pornographie als ein spezielles kulturelles Medium von männlichen Produzenten für angenommene männliche Betrachter. Es folgt einer eigenen Methode dabei, Frauen, Körper und Sexualität zu präsentieren1. Genauer gesagt verstehe ich unter Pornographie die - in der Gegenwart massenhaft verbreitete warenförmige - Herrichtung von menschlichen entblößten Körpern (in Texten, Filmen, Bildern) zu anonymen Objekten der Betrachtung. Diese Objektivierung enthält ein Stück symbolische oder wirkliche Gewalt, die von der Zurichtung des Objekts - des Körpers der Frau, des Kindes, der Schwarzen - bis zu ihrer Zerstörung gehen kann.

Was bewegt

den Pornoproduzenten?

Der Produzent diktiert die Pornographie und die Formen ihrer Präsentation; heutzutage kann er sich dabei auf Marktanalysen und psychologische Experten stützen. Aber er ist ein anderer als der tatsächliche Konsument. Wir können also nicht von irgendwelchem Konsumenten-Verhalten oder von Rezeptionsformen auf die Ziele und die Bedeutungsstruktur der Pornographie-Produktion rückschließen. Das bedeutet für mich auch, daß die Art, wie die Pornographie unsere Kultur durchzieht und prägt, ein wesentlicher Teil des Problems ist. Der Verweis auf die Praxis der Gewalt ist gar nicht nötig; die symbolische Darstellung von Frauen als abhängigem Stück Fleisch, das gewaltsam zu zähmen oder zu unterjochen ist, ist bereits ein ungeheurer alltäglicher Angriff auf unsere Identität und sexuelle Selbstbestimmung.

Pornographie als Medium und

die kulturellen Auswirkungen

Nicht „sind die Männer Schweine“, sondern: Was transportiert Pornographie als Medium und wie wirkt sich das in unserer Kultur aus? Ich will ein paar Merkmale der Methode des Pornographen hier zusammenstellen2: Der Pornographieproduzent (ab hier der Pornograph) geht selbstverständlich von dem Anspruch aus, allein zu reden; er bestimmt die Situation und das Verhalten der DarstellerInnen und läßt sie sich durch irreale Räume bewegen, wie er will. Der Pornograph ist dabei tendenziell geschwätzig; er muß immer sprechen und er muß sich dauernd - bei Gewaltbildern bis zum Erbrechen oder zur Schmerzgrenze - wiederholen.

Dementsprechend schweigen die Frauen; sie sind ein Ab-Bild ohne eigene Perspektiven, dürfen nicht sehen; was sie sagen, wiederholt die Rede ihrer Herren.

Der Pornograph präsentiert „vorgestellte“ imaginierte Situationen. Statt des Realismus, der unterstellt wird, geht es eher um simplen Materialismus: in einer einfachen Sprache des Fleisches, des Spermas, des Durchbohrens, der starken Schwänze und eröffneten Vaginalien werden immergleiche Botschaften leicht variiert. Der Druck zur Abwechslung in monotonen Folgen und die Ausrichtung auf spezielle Ausrichtungen spiegelt sich im sorgsam geordneten Sortiment wieder, das von rassistischen Thai- und Afro-Pornos über den Hausfrauen-Porno bis zum Hardcore reicht. Doch das Muster bleibt, außerhalb der Homosexuellen-Sparten, gleich: der Mann beherrscht die Frau und die Sexualität, die Frau genießt Schmerz und Lust und ist letztlich nur ein Stück Materie (oder ein Stück Dreck); sie verhält und bewegt sich stereotyp wie auf Befehl, ist also nicht bedrohlich.

Da der Pornograph zumindest in seiner Sparte im wesentlichen das Gleiche sagt, ist er gezwungen, es immer lauter und stärker zu sagen. Er muß also die Grenzen seiner Vorstellung im doppelten Sinne, seiner Bilder im Kopf und seiner Präsentation, fortlaufend verschieben. Das Interesse, sich im rasch wachsenden Pornomarkt durchzusetzen, verstärkt den Mechanismus. Die Vermarktung immer härterer Gewaltbilder, die wir in den letzten 20 Jahren erlebten, geht auch auf diesen Zwang des Geschäfts zurück.

Der Pornograph war historisch imstande, diese Grenzüberschreitung als Befreiung oder Libertinage zu verkaufen. Er führte ein kompliziertes Ballett mit den ideologischen Instanzen auf, die die Herrschaft durch die Kontrolle der Sexualität zu verankern suchten; wo sie die Körper und die Sexualität unter Verboten verdecken wollten, präsentierte er sie, wo sie von Sünde sprachen, redete er vom Gebot des Genusses. So wird bis heute angenommen, daß Entblößung und die Norm aktiven Sexuallebens frei machen.

Zivilklage als ein Instrument

Mir scheint, daß die Pornographie als Medium nicht nur die Gewalt gegenüber Frauen, sondern auch die Gleichgültigkeit ihnen gegenüber transportiert: Mann lernt nicht zu sehen, was er sieht. Damit wird der männliche Blick von der Erfahrung wegdividiert (siehe unten). Und das begründet eine Hartnäckigkeit pornographischer Bilder im Männerkopf, die auch mit ganz anderen Frauenbildern koexistieren können, unter anderem in Konflikten aber durchschlagen.

Der Mechanismus der permanenten Grenzüberschreitung hat die Spirale der Gewaltbilder angekurbelt. Ein Verbot von Gewaltpornographie könnte diese Spirale anhalten, denn dann führten Verschärfungen nicht fortlaufend zu Wettbewerbsvorteilen. Darin und in der Sensibilisierung der Frauen für die Pornographie-Probleme, im Durchbrechen der Kanalisierung sehe ich einen großen Nutzen der vorgeschlagenen rechtlichen Regelungen zur Zivilklage gegen harte Pornographie. Doch rechtliche Einschränkungen fassen nur einen Teil des Problems.

Einige Frauen verstehen Pornographie als Zugang zu Macht und Herrschaft („die grausame und starke Frau“). Andere fürchten in Erinnerung an die ideologischen Instanzen der moralischen Kontrolle in der Pornographie-Kampagne die „Kreuzzüglerinnen“ oder ein roll-back der sexuellen Befreiung. Wir können also die Pornographie-Debatte nicht auf „porNo“ zur Gewalt beschränken, sondern müssen sie zur sexuellen Selbstbestimmung und zur Erotik vermitteln. Jenseits der Verbots-Debatte geht es mir also um eine radikale Veränderung und Kritik der patriarchalischen Kultur und ihrer Sexualität. Ohne Gegenbilder sexueller Befreiung aus der Sicht von Frauen ist das kaum möglich.

Anmerkungen:

1vgl. dazu vor allem die Untersuchungen von Griffin 1980; Kappeller 1986; Marcus 1968.

2Wenn Frauen sich an die Pornographieproduktionen machen, scheinen sie diese Methoden zu imitieren.

Ilse Lenz, Soziologin an der Universität Münster, hielt diesen Vortrag auf der Pornographie-Anhörung der Grünen diese Woche (vgl. taz vom 9.9.'88).