Trotz Unmut doch Vertrauensbeweis für Walesa

Exekutivkommission der Solidarnosc und Vertreter der Streikbetriebe sprechen Walesa ihr Vertrauen aus / Nach wie vor Unmut über den Streikabbruch / Gespräche mit der Regierung nur bei Teilnahme offizieller Solidarnosc-Vertreter  ■  Aus Danzig Klaus Bachmann

Die Polizei hielt sich dezent zurück und blieb weitgehend außer Sicht. Unter den Helfern der Danziger Brigittenkirche herrschte dennoch den ganzen Samstag über Unruhe und Spannung. Ein Dutzend Helfer in rotweißen Armbinden bewachten das Gelände der Pfarrei. Eintritt nur für ausgewiesene Journalisten mit persönlicher Genehmigung von Pfarrer Jankowski. Der Grund dafür wurde auch Uneingeweihten bald klar: nacheinander betraten die Pfarrei alle die, die in der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc Rang und Namen haben - von Jacek Kuron und Adam Michnik bis Tadeusz Mazowieki und Lech Walesa selbst.

Angesagt war die erste Sitzung der Landesexekutivkommission der Gewerkschaft nach der großen Streikwelle vom August. Es war wohl die meistbeachtete Sitzung des obersten Gewerkschaftsgremiums seit dem Verbot der Gewerkschaft 1981. Das Gremium sollte vor allem über Walesas Entschluß zur Beendigung der jüngsten Streiks und über das Gesprächsangebot von Innenminister Kiszczak beraten. Dazu angereist waren auch Vertreter der Streikkomitees aller im August bestreikten Betriebe. Und gerade die Entscheidung zum Streikende war unter den Betriebsvertretern alles andere als unumstritten. Viele fühlten sich von Walesas Entscheidung überfahren, auch wenn sie sich ihr nachträglich unterordneten. Besonders harte Kritik mußte sich der Vorsitzende von den Gewerkschaftsvertretern aus Jastrzebie anhören. „Die haben als erste gestreikt und bis zum Schluß durchgehalten“, erklärt ein Sprecher der Streikenden, „und als Walesa angefahren kam, standen sie kurz vor einem Übereinkommen mit der Direktion. Und da kommt der und will einfach abbrechen, weil ihm Kiszczak irgendwelche Versprechungen gemacht hat.“

Welche Anhaltspunkte Walesa für den guten Willen der Regierung auch haben mochte, in diesen Tagen hat sein Ansehen bei den schlesischen Arbeitern gelitten. Ein Streiksprecher: „Die wollten ihn in der Zeche Amnifest Lipcowy sogar aus dem Betrieb werfen.“ Harte Vorwürfe, er habe ihre Sache verraten und sei zu nachgiebig, mußte sich Walesa sogar in seinem eigenen Betrieb, der Danziger Leninwerft anhören, berichten Mitglieder des Streikomites.

Besonders die ganz jungen Arbeiter in Danzig und Jastrzebie wollten weitermachen, so ein Streiksprecher weiter, „bis die da oben weich werden, und zwar richtig“. Ein Belegschaftsvertreter aus Jastrzebie: „Wir hätten solange durchgehalten, bis die Regierung total nachgegeben hätte. Jetzt haben wir den Streik beendet, sie schikanieren uns, verfolgen das Streikomitee, ziehen Bergleute zum Militär ein und entlassen sie.“

Unterstützung für Walesa kommt vor allem aus solchen Betrieben, in denen die Belegschaft uneinig und unentschlossen war, zum Beispiel aus der Krakauer Hütte Nowa Huta. Maciej Mach vom dortigen Streikkomitee: „Wir mußten einen ausgerufenen Solidaritätsstreik vorzeitig abbrechen, weil sich die Belegschaft zu wenig beteiligte. Nach dem Polizeiüberfall im Mai sind die Leute bei uns doch recht eingeschüchtert. Der Streikaufruf führte daher zu einer völlig chaotischen Situation, daß eine Abteilung streikte, eine andere nicht.“

Angesichts der geteilten Ansichten innerhalb der Exekutivkommission und der Meinungsverschiedenheiten in den Betrieben wurde das Schlußkommunique der Sitzung am Samstag mit großer Spannung erwartet. Es sollte die offizielle Antwort der Gewerschaftsführung auf Walesas Verhalten und Innenminister Kiszczaks Angebot von Gesprächen am runden Tisch bringen. In den letzten Tagen hat die Regierung mehrmals deutlich gemacht, daß sie zwar bereit sei, über die Frage der Gewerkschaft Solidarnosc zu reden, nicht aber mit einer als solchen anerkannten Solidarnosc-Delegation. Konkrete Zusagen über eine Zulassung der Gewerkschaft gibt es nach wie vor nicht, obwohl die Streiks alle beendet wurden.

Entsprechend heftig ging es dann auf der Danziger Sitzung auch zu, auch wenn Solidarnosc-Sprecher Piotr Konopka immer wieder die sachliche Atmosphäre lobte. Von Teilnehmern konnte man da anderes hören: „Wir kämpfen da drinnen buchstäblich um jedes Wort“, verriet ein Danziger Delegierter. Die Sitzung wurde mehrfach verlängert und dauerte dann insgesamt zehn Stunden. Um 19 Uhr war es dann soweit und Sprecher Konopka verlas den Text. Die Gewerkschaft erwarte von der Regierung die Schaffung von Bedingungen, die eine legale Existenz von Solidarnosc ermöglichen, heißt es in der Erklärung. Und der Regierung, die selber stets erklärt hat, sie wolle zwar über, aber nicht mit Solidarnosc reden, legten die Delegierten ein Kuckucksei ins Nest. Sämtliche von Walesa ausgewählten Vertreter für die Gespräche am runden Tisch werden ausschließlich als Vertreter von Solidarnosc auftreten, erläuterte Konopka. Damit scheint das Konzept der Regierung, den runden Tisch zu einer Diskussion von Vertretern „verschiedener gesellschaflicher Strömungen“ zu machen, gescheitert. Wenn die Regierung nun solche Vertreter beteiligen will, muß sie sie selbst ernennen.

Für Lech Walesa indessen ging die Sitzung am Samstag erfolgreich aus. Die Exekutivkommission und die Vertreter der Betriebe sprachen ihm ihre Unterstützung und ihr Vertrauen aus. Allerdings scheint es, als wollten ihm die Betriebsvertreter in Zukunft mehr auf die Finger sehen. Grundsätzlich, so erklärte Konopka, habe man Walesa bei der Auswahl der Gesprächspartner für den „runden Tisch“ freie Hand gelassen, „aber die Vertreter der Streikkomitees werde auf jeden Fall dabei sein.“