Ladakh, Touristen und Soldaten

Ladakher empfangen Fremde gern mit einer Tasse des traditionellen Buttertees. Beim Schlürfen dieses salzigen Getränks wird viel gelacht und gesprochen. Die Fremden sind begeistert.

Aber gerade diese Ausländer haben im letzten Jahrzehnt das ehemals unberührte Ladakh entscheidend verändert. Das Bild der Hauptstadt Leh wird nicht mehr durch Ladakher in langen roten Mänteln und zylindergleichen Hüten bestimmt. Heute prägen Touristen ud Soldaten die Straßen und Basare.

Indische Soldaten werden seit 25 Jahren in Ladakh stationiert. In kaum einem anderen Gebiet des Subkontinents sind Streitkräfte so konzentriert wie in dieser Gebirgslandschaft. Tief sitzt noch der Schock von 1962, als die chinesische Armee in den indischen Himalaya eindrang und einen Teil Ladakhs annektierte. Seitdem hat die indische Regierung Waffen und Truppen an der Grenze zur VR China stationiert.

Dieser Konzentration von Soldaten hat sich die Bevölkerung Ladakhs unterzuordnen. So wird die einzige Paßstraße zwischen der kashmirischen Hauptstadt Srinagar und Leh oft für Stunden gesperrt, wenn es die militärischen Belange erfordern. Ein großer Teil der Transporte in das schwer erreichbare Ladakh dient der Versorgung der Truppen. Zwar hat ein Gemüseanbauprogramm der indischen Regierung für mehr Vielfalt auf dem ladakhischen Speisezettel gesorgt, Hauptzweck der Maßnahme ist aber auch hier die Versorgung der Armee.

Stärker noch als das Militär verändert der ständig wachsende Tourismus die ladakhische Kultur. Der Reiseboom bringt jeden Sommer über 10.000 Touristen in das Land. Für die Einheimischen wird es immer schwerer, sich gegen den westlichen Einfluß zu behaupten. Auf karger Erde und unter extremen klimatischen Bedingungen hat sich ein reiches wirtschaftliches und kulturelles Leben entwickelt. Die vielen Feste und Maskentänze, die Freude und Ruhe bei der Arbeit und die Verankerung im buddhistischen Glauben haben die Ladakher zu herzlichen, lebensfrohen Menschen gemacht. Aber der Ausverkauf der Kultur ist in vollem Gange. Im Kloster Phyang an der Paßstraße nach Srinagar wurde das jährliche religiöse Fest vom Winter in den Sommer verlegt, um durch den Verkauf von Eintrittskarten an die Touristen zusätzliches Geld einzunehmen. Im Kloster Hermis werden bei dem im Juli stattfindenden Hermisfest Sitzplatzkarten an die Fremden verkauft, die bis zu 10 DM kosten. Für Ladakh eine unermeßlich hohe Summe.

Zwar hat der Tourismus einigen Ladakhern einen gewissen Luxus wie z. B. Fernsehen und Auslandsreisen ermöglicht, aber insgesamt hat die starke Nachfrage der Ausländer nach ladakhischen Waren die Preise auf den Märkten in die Höhe getrieben. Die ärmeren Ladakher haben unter dieser Preissteigerung zu leiden. So wird die Kritik der Bevölkerung immer stärker.

Die „Ladakh Ecological Development Group“ (LEDG), die von der Europäerin Helene Norberg-Hodge gegründet wurde und die von Ladakhern aller Altersgruppen getragen wird, sucht nach Möglichkeiten, Ladakhs ursprüngliche Kultur zu bewahren, ohne das Land von allen äußeren Einflüssen zu isolieren. So fördert die LEDG die ladakhische Sprache und die traditionelle Medizin. Auch wird versucht, den Lebensstandard durch die Einführung von einfacher angepaßter Technologie zu verbessern. Dies geschieht z.B. durch die Entwicklung einfacher Heizmethoden. So nutzt man mit kleinen schwarzbemalten Kisten aus Holz und Glas die intensive Sonnenstrahlung im Himalaya. Auch Programme für einen Wärmeaustausch in den Häusern wurden in einzelnen Dörfern verwirklicht.

Eine Hauptaufgabe sieht die „Ladakh Ecological Development Group“ in der Auseinandersetzung mit dem Tourismus. Helene Norberg-Hodge, die 1986 stellvertetend für die Gruppe den alternativen Nobelpreis erhielt, zu dieser Problematik: „Ich war eine der ersten Touristinnen hier in Ladakh und trage ebenso den westlichen Einfluß in das Land. Unser Weg ist es, Ladakhs Kultur zu erhalten, ohne sich aber gleichzeitig von der Außenwelt abzuschotten.“ Ob dies funktioniert, ist angesichts des sich immer weiter ausdehnenden Touristenbooms fraglich. Hoffnung gibt aber das Interesse, das sowohl die ladakhische Bevölkerung als auch Touristen an der Arbeit dieser Gruppe zeigen.

Stefan Kühl