Potzblitz und Schwarzleder

■ „Deep Purple“, die Väter des ganz harten Genres, zeigten Donnerstag in der Stadthalle, daß man Hardrock spielen kann, ohne sich um protzenden Strakbierpoeten herabzustümpern

Hardrock, das bedeutet normalerweise ja viel dummes Zeug auf einem Haufen: böse Männer mit Langhaar und Babyface und pseudofschistischem Symbolgetue, Glitzer, Potzblitz und Schwarzlederaccessoire in wabernden Nebeln und Bobongelichter, die ewiggleich herumdilettieren mit den urältesten Patterns aus den Kindertagen der Rockmusik. Ob sie Maffay, Europe, Scorpions, Iron Maiden oder sonstwie heis- sen, ob sie ihre biederen und phantasielosen Dumpfklischees tatsächlich „Hardrock„ nennen oder als „Heavy„ oder „Speed„-Metaller kleinkalibriges Material zum exzentrischen Hexensabbatt hochpuschen - selten sind sie, wenn sie mit dramatischem Urernst und großer Geste das musikalische Banalitätenkabinett plündern, frei von Peinlichkeiten und unfreiwilliger Komik.

Im Publikum überwiegen gemeinhin Männer, die aussehen wie die Second-Hand-Ausgaben der Härtetypen auf der Bühne, eng die Jeans und spitz die Stiefel, wiege der Schritt, stahl der Blick und eine Hand immer nah am Bierbecher: Der Hardrock ist noch immer Domäne der Machos vom Lande.

Väter des Genres sind unbestritten Deep Purple, seit vier Jahren mischen sich die älteren Herren live wieder unter ihre mißratenen Söhne, als gelte es, denen und den alten und neuen Hörern

immer wieder vor Augen und Ohren zu führen, daß man Hardrock spielen kann, ohne sich zum protzenden Starkbierpoeten oder zur leibhaftigen Comicfigur herabzustümpern.

Das Ambiente stimmte allerdings auch diesmal: viel Bierseliges und -bauchiges im Publikum und lange Schlangen vor dem Männerklo der Stadthalle.

Und auch die Vorgruppe hielt, was die Vorurteile versprechen: Bei Zed Yage aus Hamburg präsentierte sich allerdings eine Frau als kreischender Obermacker vor den undifferenzierte Massenware produzierenden harten Jungs an den Instrumenten.

Aber dann. Blackmore, Lord, Paice, Gillan und Glover, die legendäre „Mark II„ von Deep Purple, irrtümlich und doch zu Recht als Originalbesetzung der Band gehandelt: „Highway Star“ und „Strange Kind of Woman“, die Opener der jüngsten Live-LP gibt's zunächst zum Warmmachen für Publikum und Band. Unmotiviert und auch schlecht gebracht das eingebaute Segment aus Lloyd Webbers „Jesus Christ Superstar“, doch dem Publikum gefällt's.

„Perfect Stranger“ wird kurz danach zum echten Highlight und zur ersten Dokumentation des kleinen, aber feinen Unterschieds: eine kompakte Komposition, Ian Gillan, der immer noch heulen kann wie eine auf den

Schwanz getretene Katze, zeigt sich überraschend stimmsicher und variabel, Jon Lord, frönt seinem Hang zur Kathedrale und Ritchie Blackmore verweist kühl und zurückhaltend, beinah beiläugfig darauf, daß er in den frühen 70ern für den Heavy Rock das war, was Clapton für den (weißen) Rhythm&Blues bedeutete.

Kein martialisches Rumgemache, keine Hammersymbolik, stattdessen überaus effektvolle und hervorragend abgestimmte Lasereffekte, die bei dem obligatorischen Jon Lord Pseudoklassikteil einen scharf konturierten Comic-Beethoven auf der rückwärtigen Leinwand zappeln lassen.

Viel Rockgeschichte. „Black Night“, „Smoke on the Water“ und vor allem „Child in Time“, Paradepferd der „Mark II„ und vielleicht DER Song der 70er. Gillan singt den Text zeitgemäß jazzig angerauht, stimmlich offensichtlich immer noch äußerst gut sortiert, obwohl er im Refrain hörbar die Technik zu Hilfe nimmt und vor der berühmten höchsten Lage paßt.

Ein beachtliches Konzert, souverän nach rückwärts weisend, aber doch kein reiner Nostalgie-Trip. Deep Purple sind immer noch die Großmeister einer die Vergangenheit zelebrierenden Musikrichtung.

Rainer Köste