Büromöbel als Mensch-Maschine-Schnittstelle

Futuristische Möbel auf der „Orgatech '88„-Messe, aber oft noch handfeste Probleme bei der Nutzung von Computern in den Büros / Rekord-Messebeteiligung  ■  Aus Köln Martin Fischer

Der Mann diktiert. Die linke Hand führt das Mikrofon ganz nahe an den Mund, die rechte verkrampft sich in der Hosentasche. Der Blick ist auf den Bildschirm gerichtet. Die Umstehenden lauschen der bemühten Stimme und starren auf den Monitor. Ich warte auf das Erscheinen des „ich diktiere: eins, zwei, drei...“ am Bildschirm. Stattdessen ertönt aus dem Computer eine synthetische Frauenstimme: „ich diktiere: eins, zwei, drei...“. Nein, dieser Personal Computer kann das gesprochene Diktat nicht in Buchstaben, Komma und Punkt verwandeln. Dieses Programm soll bloß das Diktiergerät ersetzen. Die Kunst, aus den gestammelten Satzbrocken wohlformulierte Briefe zu machen, bleibt weiterhin den Sekretärinnen vorbehalten. „Natürlich arbeiten wir auch an der digitalen Spracherkennung“, erklärt der Demonstrator, „mit einem Wortschatz von 500 Worten klappt das auch.“ Das Problem sei nicht der geringe Wortschatz, der ließe sich steigern. Das wirkliche Problem seien die Diktierer, nur „zehn von hundert können wirklich druckreif sprechen“. Der Mann verachtet seine Geschlechtsgenossen.

Von den 26 Millionen Erwerbstätigen in der Bundesrepublik sind fast 12 Millionen in einem Büro beschäftigt. Trotz kräftiger technologiebedingter Rationalisierungsschübe sind die Bürojobs in den letzten zehn Jahren um zwanzig Prozent gestiegen. Der „Lebensraum Büro“ gewinnt ausgerechnet in jenem Moment für den Alltag von immer mehr Menschen Bedeutung, in dem der Büroraum von der Informations- und Kommunikationsindustrie vollständig verändert wird.

Die seit 1953 alle zwei Jahre stattfindene „Orgatechnik“ ist längst nicht mehr die vielgehöhnte Büromöbelmesse. 1988 hat die „Fachmesse Nr.1“ erstmals die gesamte Austellungsfläche aller 14 Kölner Messehallen belegt, um 2.119 Firmen aus 30 Ländern unterzubringen. 1.170 Firmen kommen aus dem Bereich der Datenverarbeitung. Das Büro der Zukunft wird - zumindest für die Münchner Gesellschaft Deutscher Organisatoren - das Zentrum eines „intelligenten Gebäudes“ sein.

Tatsächlich bleibt den Möbelherstellern in Zukunft nur noch das Design des Drumherum von Chip und Kabel vorbehalten. Immerhin: „Corporate Identity“ und Akzeptanz der neuen Technologie lassen sich nur mit einem Life-Style-Ambiente herstellen. Wichtiger noch ist aber der technische Inhalt. „Für die Bewältigung der informationstechnisch geprägten Zukunft“, behauptet der Verband für Textverarbeitung und Bürokommunikation, „gibt es keine andere Wahl als die frühzeitige Nutzung der Informations- und Kommunikationstechniken.“

Viel ist davon noch nicht zu bemerken. Noch ist die Ausstattung der bundesdeutschen Bürostuben höchst antiquiert. 1987 kamen, so das nüchterne Ergebnis des Münchner Marktforschungsinstituts Infratest, 38 Prozent der Büros mit dem Hilfsmittel Telefon aus. Weitere 17 Prozent begnügen sich mit Telefon und Textsystem, 23 Prozent verfügen zusätzlich über einen Kopierer. In nur 22 Prozent der Büros wird bereits mit den modernen Technologien Datenverarbeitung und Telekommunikation gearbeitet.

In der Praxis herrscht gerade dort, wo die mit hohem Investitionsaufwand beschafften modernen technischen Lösungen unter erheblichen Schwierigkeiten in Betrieb genommen wurden, mehr Frust denn Lust. Die Hersteller verharmlosen die mit der Computerisierung verbundenen Probleme, die spätestens am Tag nach der Installation von Hard- und Software nicht mehr zu leugnen sind. Fazit: Die teuren Geräte werden mitunter kaum genutzt und wandern schon mal in den Keller. Nach Schätzungen werden bis zu 50 Prozent der verkauften Einheiten nicht in den Büroalltag integriert. Wo sie im Einsatz bleiben, herrscht häufig das Chaos. Im „papierlosen Büro“ wird mehr Papier produziert als vorher. Klappt der Datentransfer zwischen verschiedenen Computersystemen desselben Herstellers nicht, bietet eine andere Firma die Lösung an: Ein Scanner liest den Ausdruck des einen Computers in den anderen ein! Daß dabei höchstens 99 Prozent der Zeichen auch richtig gelesen werden, bereitet dem Hersteller keine Probleme. Für die 93 Prozent der Frauen, deren Arbeit am Bildschirm aus Texteingabe besteht, bedeutet das immerhin eine neuerliche Korrektur pro Zeile.

In den Kölner Messehallen ist die Stimmung dennoch fröhlich. Herren im Nadelstreif spielen inmitten von Computern, Kopierern, Telefonanlagen und Druckern mit einer Autorennbahn, die in den Zimmern ihrer Kinder niemals Platz finden würde. Die bestechende Qualität hochauflösender Bildschirme wird dem heftig umworbenen „Mittelstand“ mit digitalisierten Bildern vollbusiger Frauenkörper demonstriert.

Am Softwaremarkt sind Branchenlösungen der Hit. Die Palette reicht vom Paket für Tanzschulen bis zur integrierten Software für das Beerdigungsinstitut. Da bei Computerarbeitsplätzen manchmal „bis zu vierzig Prozent der Arbeitsleistung“ verlorengehen, will die Firma Taylorix mit ihrem „Erconomy„-Programm dafür sorgen, daß der Rationalisierer Computer beim Mittelstand nicht in Verruf gerät. Am wirtschaftlichen und ergonomischen Arbeitsplatz haben die „Mitarbeiter alle Unterlagen, die Medien, wie z.B. das Telefon, den Bildschirm, die Tastatur, Schreibgeräte, Notizpapier im direkten Zugriff.“ Erst die Nutzung der sogenannten „dritten Ebene“ - des Raumes über dem Schreibtisch - macht das Büromöbel zur „Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine“.

44 Prozent aller Berufstätigen wollen nicht mit Computern arbeiten, ergab eine Umfrage des Sample-Instituts im Auftrag von IBM. „Industrie, Behörden, Handwerk, Opel, Siemens, Bosch, MBB, AEG“ haben die vermeintliche Lösung für die deutsche Misere bereits gefunden. Sie arbeiten mit einem „Wunschprogramm“, für dessen Benutzung, wie die Technologiefabrik Karlsruhe behauptet, die Kenntnis von „nur noch 13 deutschen Befehlen“ ausreicht: „Schon haben sie ihre ganze EDV von Anfang an fest im Griff.“