Barry Graves: Faschismus im Zeitgeist-Schick

■ Die Herren-Journalisten von 'Spex–, taz und 'Männer-Vogue–

Barry Graves

Erstes Beispiel: Ich schreibe eine Kolumne für die Männer Vogue in München. Es geht um World Music, Mory Kante, Afrika-Beat, Rap. Die Redakeurin setzt als Überschrift darüber: „Negermusik“. Ich rufe an, protestiere, das sei doch eine Frechheit, meinen Artikel mit einer rassistischen Überschrift zu versehen. Die Redakteurin gibt sich arglos. Wieso denn, ist doch Musik von Negern. Der Ausdruck sei völlig wertfrei, eher ironisch gebraucht worden.

Zweites Beispiel: Im Magazin Spex, einer alternativen Musikzeitschrift, steht etwas über den Berliner Hip-Hop -Musiker Richie Hassas, „der bei WOM die Negerabteilung betreut“. Ein Heft weiter ist die Schreibe von der Gruppe 'Living Colour‘. Zitat aus dem Rezensionsanfang: „Neger Gitarrensoli - Hard Rock! Ja, seit der Drogenleiche Hendrix hat es das wohl nicht gegeben.“

Weiteres Beispiel: In der taz schreibt der Autor Thomas Kapielski am 17.Oktober, daß das Scene Lokal 'Dschungel‘ „bereits um acht Uhr gaskammervoll war“. Es kommt zum Aufstand in der Redaktion. Eine Redakteurin verteidigt, warum sie sowas durchgehen ließ: „Wir alle lachen doch auch mal heimlich über Judenwitze, wenn keiner dabei ist.“ Eine andere Redakteurin: „Ich habe dabei keine Assoziationen. Ich beschäftige mich nämlich nicht mit deutscher Geschichte.“ Den beiden Redakteurinnen wird gekündigt. Daraufhin schreiben die verbliebenen Mitarbeiter im Kulturteil eine Seite voll mit dem Spruch „Text nach Vorschrift“, weil angeblich „in stalinistischer Manier“ ein „Schreibverbot“ verhängt worden sei. Zu den Leuten, die trotzig Text nach Vorschrift statt eines Artikels schreiben, gehört auch Redakteur Qpferdach, der nichts dabei fand, als ich telefonisch bei ihm beklagte, daß Whitney Houston in einem von ihm redaktionell verantworteten taz-Artikel als Stück Fleisch bezeichnet worden war. Was geht hier vor? Neger, Judenwitze, „gaskammervoll“ - sind wir wieder so weit? Wie weit sind wir?

Man schaut immer zur falschen Seite, sucht nach verräterischen Zeichen in der falschen Ecke. Man denkt, Faschismus kann doch nur von den politisch Rechten kommen, die aussehen wie Skinheads, wie Ekel Alfred, wie die Karikatur des Spießbürgers. Man denkt, Faschismus muß laut sein, grob, ordinär, pöbelhaft, ohne Geschmack und Stilbewußtsein - Knobelbecher und Lodenjacke.

Dabei übersehen wir ganz den Faschismus, der sich im Zeitgeist-Schick anschleicht, der Gautier-Anzüge trägt, ein Filofax-Notizbuch in der Jacket-Tasche stecken hat, auf Zouk -Musik steht, das Design des Engländers Neville Brody und den Fotostil des Amerikaners Bruce Weber mag. Wir übersehen den Faschismus, der sich auf edel tarnt.

Die neuen Faschisten und Rassisten halten sich natürlich nicht für solche. „Ich seh doch nicht aus wie Goebbels, ich hample doch nicht rum wie Mussolini, ich hab doch mehr Stil als der dicke Göring.“ Die Leute von der Männer Vogue waren ganz entsetzt, als ich sie Rassisten nannte. Die Leute vom Spex mit ihrer „Negerabteilung“ und der „Drogenleiche Hendrix“ wären hell empört, wenn man sie die fünfte Kolonne der NPD oder das Schwesternblatt der Soldatenzeitung nennen würde. Aber manch einer ist Faschist und weiß es nicht. „Manch einer“ ist Singular. Doch längst ist es keine Einzahl mehr, wenn es auch noch nicht die Mehrzahl ist. Allerdings nimmt die Zahl derer in der Publizistik alarmierend zu, die ungeniert mit Tabu-Vokabular umgehen. Sie brechen aber damit kein Tabu, das endlich gebrochen werden sollte. Denn die Menschenwürde ist ein Tabu, das n-i-e-m-a-n-d verletzen darf.

Diese Journalisten, dazu gehört auch Wiglaf Droste mit seinem unerhörten Anti-Heller-Artikel, verletzen die Menschenwürde, und sie schämen sich noch nicht einmal dafür, wenn sie darauf angesprochen werden. Kapielski und die taz -Redakteurinnen, die gefeuert werden sollen, haben nicht gesagt: „Tut mir leid, ich muß mit der Gaskammersache nicht bei Trost gewesen sein; das steht doch gegen alles, wofür ich sonst eintrete.“ Nein, sie haben sich noch frech gerechtfertigt. Das macht die Sache dann nicht mehr nur ärgerlich, das macht sie erbärmlich.

Die Leute von der Männer Vogue, von der taz und von Spex, die da von „Negermusik“ und „typisch jüdischen Künstlern“ wie Paul Simon schreiben, geben vor, Rock und Rhythm & Blues zu mögen. Ich mag Rock und Rhythm & Blues, ich habe mich mein Leben lang damit beschäftigt. Weil ich so viele Erfahrungen machen konnte, weiß ich um die unschätzbaren Verdienste schwarzer Künstler in der populären Musik aller Spielarten, vom Jazz bis zur Psychedelik. Wenn einer schwarze Musik wirklich liebt, sollte er dann die Leute, die diese Musik machen, nicht respektieren und keineswegs bloß als Tanzbären für den weißen Herrenmenschen ansehen?

Das tun nämlich diese Herren-Journalisten von Spex, taz, Männer Vogue und vielen anderen Blättern auch. Sie respektieren die schwarzen Musiker nicht in ihrem Recht auf Selbstbestimmung und Menschenwürde. Denn „Neger“ und „Negermusik“ sind abwertende Ausdrücke aus der Ära des Kolonialismus und der Diskriminierung. Selbst das Wort „farbig“, das zum Beispiel auch der Tagesspiegel ständig gebraucht, ist diskriminierend. „Nenn mich nicht farbig (colored), sondern schwarz (black) - dann sind wir wieder Freunde“, sagte James Brown einmal zu einem RIAS -Journalisten.

Wir sind in diesem Medium als sogenannte Profis tätig, da kann erwartet werden, daß wir um geschichtliche Entwicklungen und um den Wert- und Bedeutungswandel von Wörtern wissen. Da kann man nicht sagen: Wir sind hier in Deutschland, wo „Neger“ und „farbig“ nicht mit negativen Bedeutungen befrachtet sind. Wer die Geschichte nicht verschlafen hat und wer schwarze Menschen respektiert, der hat einfach solche Wörter nicht in seinem Vokabular. Dem/der kann also so etwas gar nicht rausrutschen, weil so etwas in seinem/ihrem Kopf, Denken und Fühlen gar nicht drin ist.

Der/die kann auch nicht wie Thomas Kapielski auf den Vergleich kommen, im 'Dschungel‘ sei es „gaskammervoll“ gewesen. Eine Reihe von Angehörigen aus meiner Familie waren in einer Situation, wo es für sie gaskammervoll wurde. Bloß, Herr Kapielski, da spielte dann keine Stereo-Disco, da wurden keine Drinks gereicht, und hinterher fuhr sie kein Taxi nach Hause. Es gab für sie kein „Hinterher“.

SFB-Sendung vom 4.11.88