ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Das Ende des unabhängigen Platten-Labels Eigelstein

Am Buß- und Bettag wurden im engsten Familienkreis die Akten des Musikproduktionslabel „Eigelstein“ endgültig abgeheftet. Vielleicht das Ende ankündigend, hieß die letzte erfolgreiche Produktion „Vor der Flut“, Klänge aus einem leeren Trinkwasserspeicher in Köln. Danach folgten noch drei Produktionen, und davor lag eine lange wechselvolle Geschichte. Unter dem verheißungsvollen Titel „Neue Welt“ gründeten der Komponist Wolfgang Hamm und der Filmemacher und -Verleiher Wolfgang Bergmann eine „Schallplattenabteilung“. Erst als die Großmeister der Unterhaltung, Warner Brothers, Rechte auf den Titel „Neue Welt“ gerichtlich durchsetzten, wurde 1979 die Firma „Eigelstein Musikproduktion und Schallplattenvertrieb“ gegründet.

Die Geschichte und der Untergang eines kleinen Schallplattenlabels wäre kaum der Beachtung wert, gäbe es nicht den besonderen Anspruch des Kollektivs. Dessen Anliegen war die Förderung einer politisch engagierten Musik, wobei es sich bewußt zwischen alle Stühle setzte, vielleicht zu stur, denn von Experimenten ohne Botschaft nahmen sie keine Notiz. Am Anfang waren das politische Lied und die Volksmusik der Dritten Welt Interessenschwerpunkte. Es entstanden Projekte wie: Lieder der Pariser Kommune, Lieder gegen den Krieg und eine Neuinterpretation der Dreigroschenoper. Für die aus England importierte „Rock in Opposition„-Bewegung wurde Eigelstein zum Sprachrohr. Als um 1980 der Punk auch das Rheinland erreichte, setzte Eigelstein auf die punkige Polit-Rock-Gruppe Cassiber mit Heiner Goebbels.

Einen richtigen Hit landeten die Kölner Plattenmacher mit der Entdeckung von BAP. Gleichzeitig war mit dem Massenerfolg von BAP auch das Glück für Eigelstein zuende. Man war nicht in der Lage, die gleichen Bedingungen zu bieten wie andere Großfirmen, und so wechselte das Ziehkind zu kommerzieller denkenden Produzenten. Trotzdem brachten die Kölsch-Rocker genug ein, um für einige Jahre weitere Produktionen zu sichern. Eigelstein arbeitete nie marktorientiert, sondern griff Strömungen auf, die sich sonst zwischen den Mahlsteinen der Musikindustrie zerrieben hätten. Dabei wurden sie mehrfach zu Zulieferern des kommerziellen Marktes: Die Anregung zum Tango Festival '84 ließ die große Tango-Welle anrollen, die Jazzplatte der indischen Gruppe Sangam und das „World Music Meeting“ gaben der Ethno-Fusion neue Impulse. Daß ein ehemaliger Mitstreiter auf der Abschiedspressekonferenz eine Linie ziehen wollte zwischen Eigelstein-Folkloreeinspielungen und dem heutigen World-Music-Trend, ist zugunsten von Eigelstein nicht ernstzunehmen: Es ging dem Kollektiv nie um den Verkaufspott Weltmusik, sondern um die Produktion anspruchsvoller Musik der Dritten Welt.

Sieht man davon ab, daß unabhängige Labels fast immer zum langen Sterben verurteilt sind, ist Eigelstein auch am Idealismus zu Grunde gegangen. „Der politisch-kulturelle Impuls ging in den achtziger Jahren verloren. Heute kann man nur wahrgenommen werden, wenn man konsequent eine Strömung verfolgt, im Gegensatz zu der Zeit bis 1980. Damals war Eigelstein wegen seiner Vielseitigkeit so interessant“, erklärt Wolfgang Hamm das Schicksal seiner Firma. Wer Schätze aus dem Nachlaß erwerben möchte, kann dies noch über die letzte Vertriebsfirma „pläne“ in Dortmund. Eine wichtige Ära ist zuende.

Clair Lüdenbach