MORDKLAUBEREIEN

■ „Ein Mann zuviel“ in und aus Kreuzberg

Was in der Kreuzberger Raubdruckerszene bislang noch keiner zu tun gewagt hat, Maria Hasterok hat es zu Papier gebracht. Im Zimmer einer Wohngemeinschaft wird ein Raubdrucker umgelegt. Ein Mann zuviel heißt ihre kleinkriminelle Mordgeschichte, angesiedelt im engsten K36-Kiezgebiet zwischen den Landmarken stadtbekannter Kneipen. Nicht „Who dunnit“ ist die zentrale Frage, die sich lesende Szenologen da stellen müssen, nein, weitaus interessanter ist das „Who Is Who“. Denn wohlbekannt sind Orte und Situationen der Handlung, das, was die handelnden Personen an Kneipen- und WG-Tischen an Dialogen absondern. Da werden Autoritäts- und Beziehungskisten ein- und wieder ausgepackt, wie es sich in der - ach so wenig originellen - Szenerealität dauernd wiederholt. Aber trotzdem kommt keine Langeweile auf: denn das voyeuristische Vergnügen, Blödmännern und -frauen wie du und ich beim Abspulen ihrer Trivialitäten zuzugucken, läßt sich nicht mit den Argumenten des guten Geschmacks aus der Welt schaffen. Wenn die Autorin die Charakterschwächen und Fehlleistungen ihres Protagonisten schonungslos den niedrigsten Instinkten ihrer Leser zum Fraß vorwirft, wird ohne jede Hemmung Geiz, Profilneurose und Eifersucht unter Bettdecken hervorgezogen, Tagebüchern entrissen und vor aller Augen seziert. Sätze wie „Er war ihr zwar nicht zuwider, abgesehen von seinem Drang, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten“ und „Er war einer dieser Typen, die ihre Mutter haßten... Das genügte ihm, um nicht über sich selbst nachdenken zu müssen“, mögen zwar grauenvoll platt sein, schmälern aber nicht die Freude an der Küchenpsychologie. Nur werden in dem Buch nicht nur Psychokisten, sondern auch - es geht ja um Raubdrucker Bücherkisten verschoben. Und das Raubdruckgeschäft scheint eine harte Sache zu sein: da wird getrickst, betrogen und gedroht. Die Bosse, allesamt reichlich unsympathische Menschen, bieten sich als Mordopfer geradezu an. Da ist zum Beispiel Maxi, der Obermacker mit der teuren Lederjacke; Rolli, der einen schwachen bis miesen Charakter und eine Frau zuviel hat; Günter, der Büchernarr von abstoßendem und ungepflegtem Äußeren, Vogelliebhaber noch dazu; ihre raffgierigen Hiwis, und die den Männern und/oder dem Trunk ergebenen Frauen. Außerdem schleicht noch ein Detektiv durch die Szene, der im Solde des Börsenvereins des deutschen Buchhandels steht: „Er hatte schlaffe Wangen, eine mittelmäßige Kartoffelnase, umschattete Augen - nur sah man an der fahlen Gesichtsfarbe, daß er zum Alkoholtrinken neigte“: Greulich ist sein Name. Aber der, soviel sei verraten, ist nicht der Mörder. Die Suche nach dem Täter gibt der Autorin und ihren zwei „Guten“ noch einmal die Gelegenheit, gründlich im Privatleben ihrer Mitmenschen herumzukramen und gleichzeitig eine zählebige Liebesgeschichte in Gang zu setzen. „Corinna lachte und sah mit einem warmen Blick Kazo an, der weitergegangen war und dabei - kaum spürbar - seine Hand auf ihren Rücken gelegt hatte...“ Das ist dann aber schon der Gipfel der Intimität; zusammen können sie nicht kommen, der Psycho geht viel zu tief.

Aber zum Glück nicht so tief, daß der Spaß am Lesen dabei verlorengeht. Dafür ist der Schreibstil zu spitz und zu witzig, auch wenn manche Sätze mit nonchalanter Bosheit voll unter die Gürtellinie zielen. Manchmal sind's gelungene Treffer

Katharina Döbler

Maria Hasterok, Ein Mann zuviel. Libertad Verlag und Edition Kalter Schweiß.