DER GRAUSAME FRIEDEN

■ „Gore“ im Ecstasy

Wrede, der Titel des neuen Doppelalbums von Gore, ist ein holländisches Wortspiel, das die Wörter „grausam“ und „Frieden“ zusammenlegt. Grausamer Frieden. Und so ist auch die Musik, die Stille nicht nur hörbar, sondern auch neu erfahrbar macht. Die Musikstücke bestehen aus abgetrennten Einheiten, wobei immer wieder Leerstellen entstehen, die für die Stille sorgen, und bei denen die Musiker angespannt an ihren Instrumenten verharren und auf ihren Einsatz warten. Das führt zu einem seltsamen Festhalten an den Instrumenten, und alle Konzentration wird auf den Einsatz, dem Schlagen und Hauen in beziehungsweise auf die Saiten und Felle gelegt. Schnell haben dazu die Musiker ihre Hemden abgelegt, und mit ihren blanken, naßverschwitzten Oberkörpern, an denen jeder Muskel angespannt ist und die deutlich die Anstrengung zeigen, nehmen sie eine natürliche und für den Überlebenskampf notwendige Abwehrhaltung ein. Sei still, da ist was. Aber man hört nichts, man weiß nur, daß da irgendetwas sein und im nächsten Moment auf einen niedergehen könnte.

Und dann schlagen sie zu, die Gitarren und Trommelstöcke, gnadenlos und eben grausam: bamm. Die Gitarren sägen, stechen, hacken wie die Messer, die auf den Cover -Illustrationen der Band auftauchen. Wer mit einem Messer einhauen will, muß erstmal ausholen. Vor dem rhythmischen Niedergehen von Schlägen im Moll-Akkord entstehen die Leerstellen, absolute Ruhe. Die Stille ist wie ein Duschvorhang, hinter dem schon das Messer wackelt. Der Frieden stößt mit unheimlichem Instrumenten-Lärm zusammen und er verliert dabei alles Sichere und Gütige, wird grausam. Beim letzten Stück schleicht sich ein dumpfer Ton von hinten heran, um einem die Ohren abzuschneiden. Er kommt so langsam angekrochen, daß die Spannung unerträglich wird. Schließlich aber ist man schon mitten im Gemetzel. Niemand schreit für dich, keiner weint um dich. Kein Platz für einen Sänger; Musiker, die massakrieren, erzählen nicht und bleiben unerkannt im Dunkeln.

Diese Musik erzählt keine Geschichte, der man zuhören kann, sie hat keine Message, zu der man gefällig nicken kann. Sie selbst ist Handlung, ein Akt der Gewalt, den man nur überleben kann, wenn man Widerstand leistet. Hier tönt Moral, und an der Gewaltausübung Lust zu entwickeln

ist ein Kennzeichen von Unterdrückung.

Volker Lüke