Internationales Tribunal verurteilt BRD und Türkei

Tribunal gegen Regime in der Türkei: BRD trägt Mitschuld an Menschenrechtsverletzungen / Staatliche „Militärhilfe“ und Rüstungsexporte bundesdeutscher Firmen unterstützen die türkische Regierung / Folter bezeugt / EG-Aufnahme der Türkei soll ausgesetzt werden  ■  Aus Köln Süster Strubelt

„Ohne die Zusammenarbeit der Türkei, der BRD und den USA hätte der von der Polizei ausgeübte Terror nicht derartige Ausmaße und Wirkung erreichen können“, lautet das Urteil der Jury auf dem Internationalen Tribunal gegen das Regime in der Türkei, das am Wochenende in Köln tagte. Zuvor waren Zeugen zur Politik und bundesdeutscher Zusammenarbeit mit der Türkei gehört worden. Schon im Vorfeld des Kongresses wurde diese Kooperation deutlich: Ana Kifayet, Mutter eines politischen Gefangenen in der Türkei, erhielt kein Einreisevisum für die Bundesrepublik Deutschland. Sie wolle sich auf dem Internationalen Tribunal politisch betätigen und danach eventuell Asyl beantragen, teilte man ihr auf dem deutschen Konsulat in Instanbul als Begründung mit. Dies blieb aber nicht das einzige Beispiel bundesdeutscher Einmischung in türkische Politik, das in Köln diskutiert wurde. Die Bundestagsabgeordneten Ellen Olms (die Grünen) und Monika Ganseforth (SPD), die Schriftstellerin Karola Bloch und der Rheinhausen-Betriebsrat Gerd Pfisterer, die mit zahlreichen Prominenten aus aller Welt die Jury bildeten, hatten nicht nur über Repression in der Türkei zu urteilen. Auch die bundesdeutsche Regierung wurde auf der Veranstaltung der „fortgesetzten aktiven Beihilfe“ zu den Verbrechen in der Türkei beschuldigt. 4,3 Milliarden Mark, so Rainer Ilahrs, von der BUKO-Kampagne gegen Rüstungsexporte, habe Bonn seinem Nato-Partner seit 1964 an „Militärhilfe“ gezahlt, davon allein in diesem Jahr 580 Millionen für acht neue und 150 gebrauchte Bundeswehr-Panzer vom Typ Leo 1 A. Parallel dazu treiben die bundesdeutschen Rüstungsfirmen einen schwunghaften Handel mit der Türkei. Der Krupp-Konzern hat das Monopol für Panzerlieferungen an die türkische Armee und unterhält mehrere Rüstungsbetriebe vor Ort. Daimler-Benz versorgt das Heer mit Lastwagen, Volkswagen liefert Polizei-Kraftfahrzeuge, während Thyssen dem türkischen Staat zwei Fregatten MEKO 200 T baut. Von der Effektivität der bundesdeutschen Ausbildungshilfe für die türkische Polizei (1988-90 drei Millionen DM) konnte sich kürzlich eine Delegation niedersächsischer Landtagsabgeordneter überzeugen, die als Beobachter des Prozesses gegen die Dev-Yol in Ankara verhaftet worden waren. Die Delegationsmitglieder Sabine Baun und Hacki Seyler, die als Zeugen zum Anklagepunkt „Versuch der Vernichtung der politischen Opposition“ vor dem Tribunal aussagten, erzählten nicht nur, wie sie selber geschlagen wurden: Sie konnten in der „Tiefgarage“ auch die Schreie der Folteropfer hören. Sevim Okkaya brach auf der Tribüne in Tränen aus, als sie zum Thema „Besondere Unterdrückung der Frauen“ über ihre Erfahrungen mit der Folter berichten wollte. Jeder hundertste Türke ist seit dem Militärputsch 1980 verhaftet worden, auf 229 schätzt die Anklageschrift die Zahl der an Folter Gestorbenen. Von der Repression am stärksten betroffen ist das 10 Millionen starke Volk der Kurden, dessen Sprache und kulturelle Identität in der Türkei offiziell nicht anerkannt wird. Der Gebrauch der kurdischen Sprache ist auf öffentlichen Plätzen, in Behörden oder bei Gefängnisbesuchen verboten. Eine kurdische Mutter von acht Kindern erhielt keinen Personalausweis und wurde als Ausländerin eingestuft, weil sie der türkischen Sprache nicht mächtig war. Mitglieder, Sympathisanten und Funktionäre der kurdischen Parteien und Organisationen werden verfolgt.

„Zur Spurenverfolgung von Separatisten“ hat die bundesdeutsche Regierung der Türkei 1986 elf deutsche Schäferhunde verkauft. Seit Jahren bildet die GSG 9 ein türkisches Sonderkommando zum Einsatz bei „inneren Unruhen“ aus. Weitere Unterstützung, so die Anklageschrift gegen die BRD, erhalte die Türkei auf dem Wege der „Diensthilfe“ von den bundesdeutschen Behörden. Beamte des Auswärtigen Amtes haben in vertraulichen Gesprächen zugegeben, daß Informationen aus Asylbewerbungsverfahren an die Türkei weitergegeben werden. Außerdem wird in der BRD erstmals eine Exilorganisation, die den nationalen Befreiungskampf in ihrem Land unterstützt, nach Paragraph 129a verfolgt:

Zwölf Kurden sitzen seit Februar 1988 in bundesdeutscher Isolationshaft, die Generalbundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“. Angesichts der Berichte über die Lage in der Türkei forderte Barabara Klawitter vom republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein zum Abschluß des Tribunals im Namen der Jury: Die Aufnahme der Türkei in die EG müsse so lange ausgesetzt werden, bis die Einhaltung der Menschenrechte dort nachweislich garantiert sei.