Beweglicher Kessel war rechtswidrig

■ Verwaltungsgericht Bremen gibt zwei Demonstranten recht, die gegen die „einschließende Begleitung“ und Observation einer Demonstration gegen die Munitionstransporte geklagt hatten

Bremen, Samstag, den 17.12.1988. Eine Demonstration von „emanzipatorischen Personen weiblichen Geschlechts“ (Polizeibericht) gegen Sextourismus und Frauenhandel und für die Freilassung von Ingrid Strobel wird streckenweise von Polizisten links und rechts des Zuges eingeschlossen.

Bremen, Montag, den 19.12.88: Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichtes Bremen

legt ein Urteil zur „einschlies senden Begleitung“ nieder. Darin heißt es: „Es wird festgestellt, daß die Begleitung der Demonstration durch Polizeireihen auf beiden Seiten zwischen Bahnhofsvorplatz und Am Dobben rechtswidrig gewesen ist.“ Das Urteil bezieht sich allerdings nicht auf die Frauen-Demo vom Samstag, sondern auf eine Demonstration am 2.Juli 1985. Damals hatten sich mehr als 500 De

monstranten vor dem Bremer Hauptbahnhof versammelt, um zum Abschluß einer Aktionswoche noch einmal gegen die Munitionstransporte aus Nordenham über Bremen zu demonstrieren. Die Polizei hatte mit der Begründung, daß Sicherheitsstörungen und Straftaten zu erwarten seien, den Zug zum Wanderkessel gemacht. Ein „gebotenes und angemessenes Mittel der polizeilichen Prävention“, so die Polizei bei

der mündlichen Verhandlung vor zweieinhalb Wochen. Die Kläger Reinhard Engel und Hauke Rainer fühlten sich dagegen in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Ihre Argumentation: Das Bundesverfassungsgericht habe im sogenannten Brokdorf-Urteil festgestellt, daß Demonstrationen unreglementiert und staatsfern ablaufen sollten. Dieser Charakter sei durch die einschließende Begleitung völlig aufgehoben worden. Ein Kontakt zu Passanten, um das Anliegen der Demonstranten zu vermitteln, sei nicht möglich gewesen. Die Urteilsbegründung liegt zwar noch nicht vor, doch hatte der Vorsitzende der 4. Kammer, Hasso Kliese, in der mündlichen Verhandlung bereits durchblicken lasse, daß die Gefahrenprognose allein für solch drastische Maßnahmen nicht ausreiche.

Unbeirrt von dem Verfahren begründete gestern der stellvertretende Leiter der Bremer Schutzpolizei, Bode, die einschließende Begleitung der Frauendemonstration: „Uns lagen Informationen vor, daß es zu Sach

beschädigungen kommen würde.“ Es reiche, wenn mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefahr vorauszusehen sei. Und die Wahrscheinlichkeit leitete Bode aus Aktionen von Frauen gegen Reisebüros ab, die Sex-Reisen anbieten. Zwar werde die Polizei dem Urteil Rechnung tragen, die „seitliche Begleitung“ aber weiter verwenden müssen. Eventuell müsse die Frage der Verhältnismäßigkeit neu diskutiert werden.

Auch im anderen Teil ihrer Klage bekamen Engel und Reuter vom Verwaltungsgericht recht. Die 4. Kammer beurteilte auch die Observation der Bombenzug-Demonstration als rechtswidrig. Vor den Demonstranten war ein Polizeiwagen mit zwei Videokameras gefahren, mit denen eifrig gefilmt wurde. Verwaltungsrichter Kliese hatte bereits vor 14 Tagen „gewisse Bedenken“ deutlich gemacht: „Auf Vorrat fotographieren, das geht nicht.“

Die Innenbehörde kündigte gestern Revision an, falls nach der Analyse der im neuen Jahr erscheinenden Urteilsbegründung Rechtsunsicherheit bleibe.

hbk