Mit Nachtschwärmern unterwegs

■ Berlins Fledermäusen wird unter die Schwingen gegriffen

„Wenn man vier Jahre lang regelmäßig hinterher ist, lernt man die Fledermäuse kennen.“ Der „Nachtmensch“ Martin Lehnert zählt zu Berlins wenigen Spezialisten für die fliegenden Säuger. Kaum bemerkt, sind immerhin noch 15 Arten in unterschiedlicher Anzahl in der Stadt beheimatet. Aber der Rückgang ihrer Futterinsekten, der Pestizideinsatz, Holzschutzmittel und die „Wohnungsnot“ machen den daumenlangen Ultraschalljägern das Überleben immer schwerer. „Ich will was tun im Naturschutz“, sagt Martin. Mit speziellen Mikrophonen ausgerüstet zieht er durch Parks und Wälder, aber auch zu den großen Winterquartieren in der Spandauer Zitadelle und dem Steglitzer Bunker im Botanischen Garten. „Manchmal läuft es mir schon eiskalt den Rücken herunter“, gesteht der Bilologiestudent. „Aber mit der Zeit wächst die Faszination.“

Neben der reinen Bestandsaufnahme greift Martin auch zu direkten Hilfsmöglichkeiten. Dachziegel, Halbblocksteine und spezielle Fledermauskästen werden zum Beispiel im Ökowerk aufgehängt. Dennoch halten viele Fremde Martins Hobby für skuril. Vermutlich geistern eben noch viele Horrorgeschichten durch die Köpfe. Aber lediglich drei von etwa 900 Arten der Flatterer leben nach Dracula-Manier als Vampiere. Anders als die südamerikanischen Blutsauger sind die einheimischen Nachtschwärmer allesamt Insektenfresser. Trotz ihres starken Rückgangs sind die Kunstflieger selbst im eng bebauten Kreuzberg zu finden. Jeder, dessen Gehör noch nicht discogeschädigt ist, kann in lauen Sommernächten die „Zirplaute“ der Zwergfledermäuse vernehmen.

Über jeder größeren Wasserfläche, wie Teufels- und Grunewaldsee, jagen nächtens Wasserfledermäuse, während die Abendsegler pfeilschnell den dichten Wald abgrasen. Deren größte Wohngemeinschaft befindet sich in einer kranken Buche im Glienicker Forst. In größeren Parks sind vereinzelt Breitflügelfledermäuse anzutreffen. Da sie bereits in der Dämmerung ausfliegen, kann das geübte Auge die Tiere bei der Nahrungssuche beobachten.

Im Sommer unternahmen Berlins Flatterfans eine Bestandserfassung des nördlichen Grunewalds. „Da bekommt man Dinge zu sehen, die man sonst nie sieht“, bemerkt Martin, der seinen Lieblingen auch mal bis Sonnenaufgang folgt. Geschwächte Winterpfleglinge und „Bruchpiloten“ werden von ihm mit Mehlwürmern wieder aufgepäppelt. Sie lieben die Rauhfasertapete, wenn sie ihre Schuhkartons - nicht Särge! verlassen.

„In der Regel gewöhnen sie sich schnell an die Hände, die sie halten“, lobt Martin seine Pfleglinge, benutzt aber dennoch vorsichtshalber Handschuhe. Alle Arten sind geschützt und dürfen nur ausnahmsweise und mit Genehmigung der Naturschutzbehörde eingesammelt werden. Den öden Winter verpennen die kleinen Pelztiere kopfüber in Höhlen und Stollen. Der Senat dagegen ist aktiv geworden und plant die Einführung eines „Fledermausbeauftragten“. Dessen Name wird aber mit Sicherheit nicht Graf Dracula lauten.

Herbert Ostwald