Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten

■ Ein Gespräch mit Mohammed Ajeeb, Labour-Stadtrat und früherer Bürgermeister von Bradford

taz: Aus welchen Gründen sind Sie für ein Verbot des Romans „Satanic Verse“ von Salman Rushdie?

Ajeeb: In gewissen Stellen des Romans werden der Prophet Mohammed, seine Begleiter, seine Frauen und die heilige Stadt Mekka verunglimpft und diffamiert.

Das ist Ihr einziger Einwand?

Für jeden Moslem ist dies Grund genug.

Welche Kritik am moslemischen Glauben ist denn Ihrer Meinung nach noch erlaubt und welche nicht mehr?

Das hängt ganz von der Natur dieser Kritik ab. Wenn jemand versucht, gewisse Teile des Heiligen Buches oder die Figur des Propheten neu zu interpretieren oder zu rekonstruieren, dann könnte dem eine Diskussion und Debatte folgen. Aber wenn ich einfach hingehe und sage, daß Christus nur ein Dreckskerl und Maria eine Hure war, dann glaube ich nicht, daß ein gläubiger Christ dies tolerierte und antworten würde: Der macht ja nur von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch. Ich denke, es gibt da Grenzen. Wie in unserem Fall den Propheten zu verunglimpfen, zu sagen er habe seinen Ansporn vom Teufel, ja, sei sogar selbst ein Synonym für den Teufel. Das hat mit Kritik nichts mehr zu tun. Ich behaupte, daß Rushdie mit seinem Roman die moslemische Bevölkerung auf der ganzen Welt grob beleidigt hat.

Rechnen Sie sich und jene, die hier in Bradford gegen die Publikation des Buches protestieren zum Kreis moslemischer Fundamentalisten?

Wenn es sich um eine persönliche Attacke auf den Propheten und das Heilige Buch handelt, ist es nicht mehr die Frage einer fundamentalistischen Wahrnehmung oder nicht. Ich würde sagen, daß sich hier in Bradford und anderswo alle Moslems verletzt fühlen. Vielleicht unterscheiden wir uns hier von anderen Glaubensrichtungen.

Sie haben diesen „Antimoslemismus“ mit dem Antisemitismus verglichen?

Ich bin ein Lokalpolitiker, der hier in Bradford seit über 20 Jahren gegen alle Formen von Diskriminierung und Rassismus, auch gegen Formen des Antisemitismus, gekämpft hat. Diese Analogie mag zwar nicht ganz stimmen, aber die Unterschiede zum Antisemitismus sind nicht mehr allzu groß. Was Rushdie indirekt in Kauf nimmt, ist die Tatsache, daß er Dinge sagt, die ein Haßgefühl gegen die moslemische Gemeinde enstehen lassen könnten. Deswegen habe ich in diesem Fall Partei für die Moslems ergriffen. Ich will nicht, daß dieses Buch ein Image des Islam in unsere Buchläden und Leihbüchereien trägt, das der Realität hier überhaupt nicht entspricht. Rushdie hat unter die Gürtellinie geschlagen und ermahnt uns jetzt, nicht aufzuschreien.

Haben Sie denn als vermeintlich progressiver Labour -Stadtrat nicht ein mulmiges Gefühl, wenn hier in Bradford auf der Straße Bücher verbrannt werden?

Daran habe ich mich weder beteiligt, noch habe ich dies gebilligt. Ich möchte hier eine völlig fried liche und gewaltfreie Kampagne gegen das Buch sehen. Auf der anderen Seite zeigt diese extreme Reaktion einiger Moslems, wie sehr ihre Gemeinde sich provoziert fühlt.

Ihre Labour-Party scheint große Mühe zu haben, zu diesem Thema eine Position zu beziehen.

Nicht nur die Partei, auch ich. Wir befinden uns hier in einem komplizierten Dilemma. Nur glaube ich eben, daß Salman Rushdie bei seiner indisch-moslemischen Herkunft hätte wissen müssen, wie sehr er die Moslems durch seine Buch verletzen würde. Ich verstehe nicht, warum er dies macht, vielleicht spielen da ja kommerzielle Gesichtspunkte eine Rolle. Er geht einfach zu weit, wenn er die Worte „Bastard“ und „Devil“ benutzt. Ich habe viel für die Literatur übrig und schätze die Meinungsfreiheit mindestens ebensosehr wie Rushdie. Aber wie kann er rechtfertigen, daß sein literarisches Produkt Millionen von Leuten verletzt und trifft, nur weil er die Freiheit, alles sagen zu können, bis zum Letzten ausnützt. Kein Individuum besitzt die totale Freiheit, ich nicht, Sie nicht, und er nicht. Jede Gesellschaft legt den Individuen Beschränkungen auf.

Und wer bestimmt, wo die Grenze gezogen wird?

Ich sehe ein, daß in dieser Frage das ganze Problem liegt. Aber Freiheit gibt es nun einmal nicht ohne Verantwortung. Ich bin ein Mitglied der Labour-Party, ein linkes noch dazu, aber manchmal gibt es da einfach zuviel Liberalismus. Ich habe Rushdies Bücher gelesen, habe sogar Respekt für diesen Mann, aber diesmal ist er einfach zu weit gegangen. Es gibt ein altes englisches Sprichwort: „Was auch immer du tust, attackiere nicht die Religion deines Mitmenschen.“

Attackiert er den Islam denn wirklich so scharf?

Wenn ein solches Buch gegen den jüdischen Glauben geschrieben würde, dann würden all die Liberalen sofort schreien: Wann zensiert ihr das?

Wie reagieren Ihrer Meinung nach Parteien und Medien auf diesen Konflikt, der sämtliche La ger zu spalten und zu verwirren scheint?

Die Labour-Party weiß es nicht, die Linken halten sich zurück, die Liberalen sagen: Alles muß erlaubt sein. Und jetzt treten auch noch konservativen Gruppen wie der rechte „Monday Club“ in die Arena und sagen: Diese Moslems haben kein Recht, hier einzugreifen. Ganz allgemein wird der Islam als aggressiver, gewalttätiger, fanatischer und lächerlicher Religionstyp dargestellt. Entweder verstehen die nicht, oder sie haben Angst. Hier gibt es für die Moslems eine ganze Menge Erklärungsarbeit zu leisten.

Aber es gibt nun einmal eine ganze Reihe fanatischer und gewalttätiger Anhänger des Islam.

Fanatiker gibt es in jeder Religion, aber die Presse scheint ein besonderes Interesse daran zu haben, dieses Bild vom Islam aufrechtzuerhalten. Die rufen ja auch bei mir an, legen mir Worte in den Mund und fragen nach den Plänen für weitere Proteste und Bücherverbrennungen. Nur verstehen wollen die uns nicht. Einer sagte zu mir, daß wir als kleine Minderheit doch nicht so große Forderungen stellen sollten. Nun, es gibt insgesamt 900 Millionen Moslems auf dieser Welt, nicht nur die 50.000 in Bradford.

Gut, Sie aber protestieren nicht in Indien oder Saudi Arabien sondern hier in Großbritannien gegen die Veröffentlichung des Buches.

Wo ebenfalls der Grundsatz gilt, daß die Religion des anderen zu achten ist. Da sagt man nicht: Dein religiöser Führer ist ein Teufel, oder Abraham war ein Bastard. Ich würde so etwas keiner Religion gegenüber sagen, weil dadurch Menschen getroffen und verletzt werden. Weil ich dieses Gefühl kenne, unterstütze ich hier in Bradford die Proteste.

Interview: Rolf Paasch