„Die Grünen machen eine edle Arbeit“

Iwan Timofejewitsch Frolow ist Mitglied des ZK der KPdSU und Gorbatschows Umweltberater  ■ I N T E R V I E W

taz: Was hat der Unfall von Tschernobyl in der Sowjetunion bewirkt, im Denken der Bevölkerung und im Denken der Politiker?

Frolow: Tschernobyl fiel in eine Zeit, als die politische Führung unseres Landes zum „Neuen Politischen Denken“ überging. Das hat sich gegenseitig beeinflußt. Tschernobyl hat zu einem neuen Umgang mit Information und mit internationaler Hilfe geführt, etwa durch die Internationale Atomenergiebehörde.

Wie haben sich denn Tschernobyl und „Neues Denken“ in Ihrem Atomenergieprogramm niedergeschlagen? Offiziell ist weiterhin von einer Verdoppelung bis Verdreifachung der AKW -Kapazitäten bis zum Jahr 2000 die Rede.

Die weitere Entwicklung der Atomenergie ist für uns eine zwingende Notwendigkeit. Wir können weder jetzt noch in absehbarer Zukunft auf Atomenergie verzichten. Allerdings wird unser Energieprogramm gegenwärtig unter neuen Gesichtspunkten geprüft. Im Unterschied zu den 50er und 60er Jahren, als wir ausschließlich und euphorisch auf Atomenergie setzten, entwickeln wir jetzt auch andere, neue Energiequellen.

Aber keine Denkpause für Atomkraft?

Es gibt gegenwärtig eine Verzögerung beim Ausbau der Atomenergie. Es gibt viele, für uns neue Probleme, die wir lösen müssen, Sicherheitsprobleme vor allem. Sicherheit für die Betriebsmannschaften, für die Bevölkerung, für die Umwelt.

Und wie wollen Sie Ihre Atomkraftwerke sicherer machen?

Wir sind dabei, neue Reaktoren zu entwickeln, die die alten Kraftwerksgenerationen ersetzen sollen. Wir machen uns Gedanken über Standortfragen, über geophysikalische Bedingungen und die Entfernungen von Atomkraftwerken zu Städten. Es gibt Überlegungen, Atomanlagen zukünftig weit weg von menschlichen Ansiedlungen zu bauen. Das bringt dann natürlich neue Probleme mit sich. Atomenergie wird teurer und es gibt große Verluste bei der Energieübertragung.

Sind Sie auf dieses Seminar vor allem gekommen, um ein den Grünen gegebenes Versprechen einzulösen? Oder verbinden Sie eigene Ziele und Interessen mit Ihrer Teilnahme?

Das Seminar ist für uns eine gute Möglichkeit, neue wissenschaftliche Erkenntnisse mitzunehmen. Das können wir in unserer Arbeit berücksichtigen, das wird zu einem bestimmten Teil in unsere eigenen Forschungen und Erwägungen über die Atomenergie einfließen. Wir engagieren uns hier aber auch, um unsere eigenen Daten und Überlegungen zu präsentieren und um sie mit dem zu vergleichen, was in der Bundesrepublik artikuliert wird.

Welche Rolle spielt die Tatschae, daß dieses Seminar von den Grünen organisiert wird?

Es ist für uns sehr wichtig, daß die Beziehungen zu den Grünen entwickelt werden. Das ist für uns von politischer Bedeutung, unabhängig vom Thema Atomenergie. Wir sind der Auffassung, die Grünen machen eine edle Arbeit, das heißt, sie treten für eine edle Sache ein. Selbstverständlich gibt es zwischen unseren Parteien Unterschiede. Manchmal auch große Differenzen, vor allem bei der Atomenergie. Aber die Grünen befassen sich ernsthaft mit dieser Problematik, und sie ziehen namhafte Wissenschftler zu ihrer Arbeit heran. Vielleicht werden sich auch bestimmte Hinweise unsererseits auf die Partei der Grünen auswirken. Eine bessere Zusammenarbeit mit den Grünen ist für uns Bestandteil der Verbesserungen unserer Beziehungen zur BRD insgesamt. Es ist sozusagen ein neues Element in den Beziehungen unserer Staaten.

Interview: Reimar Paul