Der Unfall von Herborn vor Gericht

Prozeßbeginn gegen den Fahrer des Tanklastzuges und drei weitere Angeklagte, denen die Katastrophe angelastet wird / Medienrummel am ersten Verhandlungstag  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Limburg (taz) - Gnadenlos hielten rund einhundert Bildjournalisten die Objektive ihrer Kameras der weinenden Mutter von Anestis Goustolinis ins Gesicht. Der knapp 20jährige Anestis starb am 7.Juli 1987 im flammenden Inferno von Herborn - und mit ihm vier weitere Jugendliche. Vierzig Personen wurden verletzt und 12 Häuser zerstört, als ein mit insgesamt 24.000 Litern Kraftstoff gefüllter Sattelschlepper in einer Kurve umschlug und eine verheerende Explosion auslöste.

Die Eltern der Opfer sind die NebenklägerInnen im Prozeß gegen den Fahrer des Tanklastzuges und gegen zwei weitere MitarbeiterInnen der Koblenzer Speditionsfirma sowie deren Chef Hanspeter Hartmann (34), der gestern im Bürgerhaus von Limburg-Ahlbach - unter Vorsitz vom Richter Roth am Landgerichtsricht - eröffnet wurde. Hauptangeklagter ist der 49jährige LKW-Fahrer Herrmann „Jupp“ Vogt aus Winnigen, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, damals mit überhöhter Geschwindigkeit die Bundesstraße nach Herborn befahren zu haben. Mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h sei Vogt an diesem Julitag mit seinem Sattelschlepper in Richtung Autobahnauffahrt „gebrettert“. Ein Herunterschalten der Zugmaschine sei aufgrund des Tempos nicht mehr möglich gewesen. Auch die Abbremsversuche des Fahrers blieben ohne Wirkung, denn die seit Monaten reperaturbedürftige Bremsanlage des Hängers - so die Anklageschrift - versagte im entscheidenden Augenblick. Vogt raste mit seinen 24.000 Litern Diesel, Normal- und Superbenzin an der Autobahnauffahrt vorbei in Richtung Herborn, immer weiter bergab. In einer Kurve schlug dann der Lastzug um (bei Tempo 120 km/h), die Tanks wurden aufgeschlitzt, und es kam zu einer gewaltigen Explosion.

Mit Vogt auf der Anklagebank sitzt der Leiter der Kfz -Werkstatt der Speditionsfirma, Ralph Lemaire (32), dem die Staatsanwaltschaft die mangelnde Wartung der Bremsanlagen des Unglücks-LKWs vorwirft, sowie die Dispositioniererin der Firma, Anne-Gertrude Thielen (53). Frau Thielen, so die Anklageschrift, habe die Fahrzeiten der Tanklastzüge extrem knapp bemessen, sodaß die Fahrer nur bei ständigem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten die Lieferzeiten hätten einhalten können. Vierter Angeklagter ist der Geschäftsführer der Firma, der nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätte wissen müssen, daß bei seinem Sattelschlepper die Bremsanlage seit Monaten defekt gewesen sei.

Die umfangreiche Anklageschrift wirft allen Angeklagten „unbewußt tateinheitliche fahrlässige Tötung“ durch „Herbeiführung einer Explosion“ vor. Der Vorsitzende Richter der 5.Großen Strafkammer des Landgerichts Limburg hat die Verhandlung auf mehrere Monate terminiert, denn das Gericht muß sich den Verhandlungssaal mit den örtlichen Turn- und Sportvereinen teilen.