Licht und Schatten der Aufklärung

■ Josefina Molina: Esquilache im Wettbewerb

Die Straßenbeleuchtung ist der Vorschein der Aufklärung. Das revoltierende Volk auf den Straßen von Madrid im Jahr 1776 aber wirft die Scheiben der Lampen ein, löscht ihr Licht aus: Der Schlachtruf „Nieder mit der Verschwendung!“ bringt die Sehnsucht nach den dunklen Kellern der Inquisition zum Ausdruck, in denen der Teufel in Ketten gehalten wird.

Josefina Molina zeichnet in „Esquilache“ die Genese einer „Logik der Unvernunft“ auf, mit der die Spanier sich ins Verderben stürzen, und sie erzählt sie als Geschichte des Scheiterns der fortschrittlichen Machthaber und ihrer Revolution von oben.

In Rückblenden, die in eine Kutschfahrt des hohen Ministers und Marquis von Esquilache durch die unruhige Stadt eingekleidet sind, entwickelt sie den Vorspann des Aufstandes. Mit der Ankunft des Ministers beim König langt auch der Film in seiner Gegenwart an, das Tempo wechselt und die Bilder verlieren einiges von ihrer anfänglichen Magnetkraft.

Doch jetzt entsteht Raum für eine vielschichtig angelegte, dabei wortkarge und gestisch reduzierte Beziehung zwischen Esquilache (Fernando Fernan Gomez) und Fernanda, seiner Zofe (wie immer still schmachtend und eindrucksvoll: Angela Molina). Das komplexe Verhältnis eines alten Mannes am Rande des existenziellen Kollaps zu einer jungen Frau, nochmals gebrochen in der Abhängigkeit der Dienerin von ihrem Herrn, ist in sich und vom Film abgeschlossen und reflektiert weniger die gesellschaftlichen Wirren der Zeit, als vielmehr menschliche Qualitäten, die Josefina Molina in der Figur des Marquis entdeckte.

Zu Esquilaches Neuerungen gehörte der Versuch, den verbrecherischen Faltenwurf der spanischen Nationaltracht zu durchleuchten, in dessen unwegbarer Finsternis, unter 'sombrero gacho‘ (Schlapphut) und den Stoffbergen der 'capa‘ (langer Umhang), sich allerlei kriminelle Elemente verbergen. Er ließ den Patrioten auf öffentlichen Plätzen von Schneidern unter Polizeischutz die Gewänder kürzen, um besser Einblick in das darunter Verborgene nehmen zu können; Visionen eines „gläsernen Menschen“ 200 Jahre vor der totalen Datenerfassung von 'geschützten‘ Personen Zeitbezüge, die Josefina Molina aufgefallen sind. Solche Probleme bleiben jedoch im Film, der einerseits „vernünftige“ Ideen affirmiert, zum anderen die Verbildungen der Macht schildert, die solche Ideen auswirft, ungelöst.

Das Scheitern der Pläne und der Widerstand des Volkes werden in dem Aufschrei „Es lebe der König! Nieder mit der Regierung!“ manifest. Der innere Widerspruch der Forderung scheint dem König Karl III. skandalös, doch er plädiert für Milde. Konflikte beizulegen ist ihm wichtiger als innovative Ideen durchzusetzen. Damit zahlt er den Preis der Macht und muß sich taub und dumm stellen gegenüber der verzweifelten Frage des 'intellektuellen‘ Adligen nach den gemeinsamen „Projekten“.

Die Sicherung der Monarchie ist dem Aufbruch in eine hellere Epoche übergeordnet.

Kraft seines königlichen Weitblicks erkennt er sich selbst als an einer historischen Schwelle befindlich und formuliert mit mantischer Inbrunst den Satz, mit dem der Film beginnt und endet: „Ich sehe den Beginn einer neuen Zeit, und die Gegenwart, in der wir leben, wird schon zur Vergangenheit.“

„Esquilache“ ist ein Historienstück nach der Textvorlage von Antonio Buero Vallejo. Josefina Molina, versucht mit Sorgfalt die Personen einer Ära transparent zu machen, ihr Klima zu bestimmen, ohne auf die Freiheiten der Fiktion zu verzichten. Sie ist vom Überhang des 18. Jahrhunderts in das unsrige überzeugt. Den erzieherischen Wert dieser Einsicht vermag sie streckenweise in dichte Bilder zu übersetzen. Dann wieder ist der Film trocken wie ein Fernsehspiel.

„Esquilache“ ist trotz beträchtlicher narrativer Qualitäten ein kurzatmiger Film; und er krankt an einem Mißverhältnis von opulenter Ausstattung und mangelnder inhaltlicher Präzision. Wunderschöne Details der Ausstattung und aufregende Gesichter geben ihm die Chance zu einer erotischen Bildsprache, die allerdings einer zu glatten, konventionellen Inszenierung geopfert wird.

Olaf Arndt

Josefina Molina: Esquilache, Spanien 1988, 106 Min., mit Angela Molina

Capitol Dahlem Mo. 20.30 Uhr