Sex & Lust & Sanktion

■ Die Tübinger Verlegerin und Essayistin, Claudia Gehrke, analysierte die Mechanismen einer modernen Sexualitätspolitik am Beispiel Baden-Württenbergs

Vor einigen Monaten hat die Landesregierung von Baden -Württenberg eine Werbefirma mit dem Entwurf einer Hochglanz -Broschüre beauftragt. Das Thema: Schutz des ungeborenen Lebens. Die Zielgruppe: Männer und das soziale Umfeld der Frauen, also ÄrztInnen, PsychoanalytikerInnen, RechtsanwältInnen. Die kleine und handliche Broschüre, die, wie die Tübinger Verlegerin Claudia Gehrke (konkursbuch -verlag) ausführte, nur auf den ersten Blick Objektivität suggeriert, arbeitet mit rhetorischen Fallen. Ganzseitige Bilder mit zufriedenen Frauen, Müttern und Großmüttern, apellieren an das Unterbewußtsein, Embryos mit ausgestrecktem Arm an das

Schuldbewußtsein. Eine heile Welt - mit Kindern: Utopie für eine bessere Welt.

„Memmingen ist nur die Spitze des Eisbergs“, warnte Claudia Gehrke, die in ihrem Vortrag „Scham - Geheimnis - Gewalt Durchleuchtung“ am Montag morgen die Mechanismen einer modernen Sexualitätspolitik durchleuchten wollte: Die AbtreibungsgegnerInnen sinnen nach neuen Wegen, um das zerstörte Vertrauen zu staatlichen Beratungsstellen wiederherzustellen und um Frauen (und ihre Männer) auf lange Sicht von einer Abtreibung abzuhalten. Mit Argumente, die denen des Hexenhammers im Mittelalter sehr ähnlich sind.

In der großangelegten Kampagne zum „Schutz des ungeborenen Lebens“ zeigt sich für Gehrke der Kampf der Männer, erneut Macht über die Reproduktion von Leben zu bekommen: Es ist aber vor allem ein Kampf um die Kontrolle des weiblichen Körpers im weitesten Sinne - unter dem Motto „Dein Bauch gehört nicht dir allein“.

Zu der männlichen Reproduktionspolitik gehört auch eine Lustpolitik, die sich im Zeitalter von Aids nicht nur darauf beschränkt, die Verhütung wieder in die Hände der Frauen zu legen; das Ziel dieser Gesellschaft bestehe vielmehr darin, die Lust der Frauen generell einzuschränken. Denn eine Kultivierung der Lust,

verbunden mit einer freien Sexualität, sei immer noch eine Irritation für die Herrschenden. Die Aids-Politik sei daher ein ideales Mittel zur staatlich sanktionierten Lustkontrolle.

Claudia Gehrke, die seit zehn Jahren mit ihrem Verlagsprogramm für Kontroversen in der Sexualitäts-und Pornographie-Diskussion („Frauen & Pornographie“, „Mein Heimliches Auge. Jahrbuch der Erotik“, „konkursbuch“) sorgt, plädierte vor rund fünfzig Frauen für eine öffentliche erotische Kultur, die sich nicht kontrollieren, nicht sanktionieren, nicht irritieren läßt. Die ZuhörerInnen dankten es ihr.

gin