Du sollst nicht ehebrechen

■ Der „Kurze Film über die Liebe“ des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieslowski gehört in Reihe von zehn Filmen über die zehn Gebote: Ein Film über den Voyeurismus

Du sollst nicht ehebrechen (2. Mose 20,15)

Voyeur, (frz.), sexuell abartige Person, die durch (heiml.) Zuschauen beim Geschlechtsverkehr anderer Personen sexuelle Befriedigung erfährt. (Das große Duden-Lexikon, 1968).

Eine polnische Trabantenstadt. Magda betritt immer zur gleichen Zeit ihre Wohnung. Sie zieht sich die Schuhe aus, öffnet die Post, holt aus dem Kühlschrank eine Flasche Milch. Dann zieht sie sich aus, ihr Liebhaber kommt, sie zieht ihn aus... Tomek weiß schon, was dann passiert. Seit einem Jahr sitzt er Abend für Abend vor seinem Fernrohr, das auf die Fenster von Magdas Wohnung gerichtet ist. Vor den Fenstern sind weder Gardinen noch Jalousien. Ein Jahr reicht aus, um einen Menschen kennenzulernen. Er dreht das Fernrohr weg. Er kann nicht mehr zuschauen. Auch wir sehen nichts mehr. Denn solange Tomek durch das Fernrohr sieht, ist das Fernrohr auch die Kamera. Er bestellt die Gasmänner in Magdas Wohnung, beobachtet gleichzeitig, wie Magda und ihr Liebhaber aus dem Bett und an die Tür eilen. Tomek lacht. Er hat etwas verhindert, was ihn zu sehr geschmerzt hätte.

Natürlich weiß Magda nicht, daß sie beobachtet wird. Aber es häufen sich anonyme Anrufe. Da Tomek am Schalter der kleinen

Post sitzt, die auch zu Magdas Zustellungsbereich gehört, schickt er ihr gefälschte Benachrichtungen zu, um mit ihr reden, sie in persona sehen zu können: „Nein, das Geld ist noch nicht eingetroffen, kommen Sie morgen wieder“. Auch diese kleinen Begegnungen reichen ihm nicht aus. Er nimmt einen Job als Milchmann an, um ihr jeden Morgen die Flasche Milch persönlich zu übergeben. Er zingelt sie ein.

Der Kurze Film über die Liebe von Krzysztof Kieslowski gehört in eine Reihe von zehn Filmen über die zehn Gebote, die Kieslowski 1987/88 für das polnische Fernsehen realisierte. Die einzige weitere Spielfilmauskoppelung ist der Kurze Film über das Töten, der zuerst 1988 im Wettbewerb von Cannes lief. Der Kurze Film über die Liebe ist in diesem Film-Zyklus der Beitrag zum 6. Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen“: „So genau habeich mich nicht an die Gebote gehalten. Nicht etwa, weil ich die Gebote neu definieren möchte, sondern deshalb, weil ich meine, daß unser Leben heute viel zu kompliziert ist, um es mit so einfachen Formeln in den Griff zu bekommen“, erklärt Kieslowski.

Schließlich gibt sich Tomek zu erkennen. Er gesteht Magda alles, auch seine Liebe. Jetzt weiß sie, daß sie beobachtet wird. Und man sieht, daß sie es auch genießt, das Objekt eines Voyeuristen zu

sein. Sie signalisiert ihm durchs Fenster, daß er sie anrufen soll: „Ich habe das Bett für dich verrückt“, sagt sie, „ich wünsche dir viel Vergnügen“. Später treffen sie sich in einem Cafe. „Warum beobachtest du mich eigentlich? „, fragt Magda. „Weil ich dich liebe“. „Willst du mich küssen?“ „Nein“. „Willst du mit mir schlafen?“ „Nein“. „Was willst du von mir?“ „Nichts“. Tomek ist ein Voyeurist, der mit der Entbehrung leben kann. Sie lädt ihn in ihre Wohnung ein, will ihn verführen, doch er ist zu erregt, um mit ihr schlafen zu können. Sie beleidigt ihn. Er flieht, schneidet sich die Pulsadern auf, wird ins Krankenhaus eingeliefert.

Von diesem Moment an dreht sich das Verhältnis zwischen Magda und Tomek um. Nun sitzt sie mit einem Opernglas am Fenster, wartet darauf, daß er wieder entlassen wird. Als sie ihn entlich besuchen kann, schaltet sich Tomeks Vermieterin ein. Sie will diese Beziehung verhindern.

Bei Kieslowski gibt es keine Happy-Ends: In der Schlußszene schaut Magda durch Tomeks Fernrohr und sieht sich selbst in ihrer Wohnung, verzweifelt, weinend. Und diesmal bleibt Tomek nicht hinter seinem Fernglas sitzen, sondern streichelt sie, nimmt sie in die Arme. Ein Wunschtraum. Ob er sich erfüllen wird?

gin

filmstudio, 15.30, 20 Uhr