Wildschwein gegen Auto

■ Radfahrer demonstrierten für Sperrung der Havelchaussee für den Autoverkehr / Umweltsenatorin Schreyer macht Schließung von neuem Konzept abhängig

Dem kühlen, regnerischen Wetter boten gestern rund 1.500 naturverbundene Berliner und Berlinerinnen die Stirn, die am Vormittag für die Sperrung der Havelchaussee in die Pedale traten. Zu der Sternfahrt, die von sieben Treffpunkten in der Innenstadt zum Kundgebungsort am Grunewaldturm führte, hatten neben dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und diversen kleineren Fahrrad- und Umweltschutz-Organisationen auch die AL und einige SPD Kreisverbände aufgerufen.

Nach 15, 20 oder noch mehr Kilometern ausgiebigen Strampelns trudelten die letzten Radler gegen 12.30Uhr auf dem Platz unter dem Grunewaldturm ein. Vielen klebte die Zunge am Gaumen und das Hemd am Leibe, wobei letzeres allerdings weniger auf die Nässe von oben zurückzuführen war als auf den Schweiß, der unter den luftundurchlässigen Öljacken in Strömen floß. Einen vergleichsweise trockenen Eindruck machte hingegen die Umweltsenatorin Michaele Schreyer, die sich in schwarzbrauner Lederkluft am Treffpunkt Rathaus Zehlendorf auf ihr altgedientes rosafarbenes Stahlroß geworfen hatte. Unter dem Beifall der Massen verkündete sie bei der Abschlußkundgebung, „das Problem Verkehr“ auf der Havelchaussee werde vom rot-grünen Umweltsenat im Zuge des geplanten ökologischen Stadtumbaus als erstes angegangen. Grund dafür sei keineswegs nur, den Radlern freiere Fahrt zu gewähren, sondern daß die Sauberkeit des Trinkwasser durch den Autoverkehr extrem gefährdet sei. Wie berichtet, liegen an der Havelchaussee Brunnen des Wasserwerks Beelitzhof, aus denen ein Viertel der Berliner Bevölkerung ihr Trinkwasser beziehen. Während der alte Senat 8,3 Millionen Mark für Baumaßnahmen zur Schadensbegrenzung bereitstellen wollte, will Michaele Schreyer jetzt mit der Sperrung der Chaussee die Quelle des Übels beseitigen. Als „alte“ Umweltschutzpoltik wurde von ihr gestern auch die nächtliche Schließung der Havelchaussee zwischen 24 und sechs Uhr morgens bezeichnet: „Da soll sich die Natur an die Uhrzeit halten und das arme Wildschwein, das zu spät aufsteht, kollidiert mit einem Auto.“ Ob die Chaussee bereits zum Sommer geschlossen werden kann, hängt Schreyer zufolge davon ab, wie schnell ein Konzept für die Beförderung der Ausflüger und Wassersportler mit öffentlichen Verkehrsmitteln erstellt sei. Gedacht werde etwa an Eletro- Zubringerbusse von Olympiastadion und S -Bahnhöfen. Beruhigende Worte fand Schreyer für die an der Havelchaussee ansässigen Gastronomen, die Angst vor Umsatzeinbußen äußerten: „Wanderer, Fußgänger oder Radfahrer haben in der Regel sehr viel mehr Hunger als Leute, die nur im Auto gesessen sind.“

plu