HARUN FAROCKI

 ■  Zu „Hotel Terminus“ von Marcel Ophüls

Für seinen Film Hotel Terminus nahm Ophüls kaum anderes auf als sprechende Personen. Ophüls versteht es, Gespräche zu führen. Er liebt es, kurze Wendungen aus der Rede seines Gegenübers wiederholend einzuwerfen: eine Beschwörung, eine Zauberformel. Wie beim Diktat zeigt die Wiederholung gesprochen im Tonfall zwischen Frage und Zusammenfassung dem Sprechenden an, daß das bisher Gesagte verstanden, aufgenommen, verarbeitet wurde. Alles in den Raum Gesprochene ist zu der kurzen Formel verdichtet, wodurch der Raum frei wird, oder leer - zum Ausgleich des Drucks muß der Sprecher etwas aus sich herauslassen, mehr und anderes als er vorhatte. In anderen Gesprächen ist Ophüls gereizt oder empört (im Gespräch mit dem Leibwächter oder dem US -Geheimdienstler) oder überdrüssig (im Gespräch mit Barbies Anwalt) oder hämisch (im Gespräch mit dem Mann, der zusammen mit Barbie im US-Dienst stand). Ophüls ist kein Gesprächstechniker, dem nur das Ergebnis, die Filmaufzeichnung etwas gilt. Er will nicht verbergen, was er von den befragten Personen und ihrer Rede hält, oder kann es nicht verbergen und ist manchmal nahe daran, damit die Aufnahme zu gefährden. Dann wieder, als er mit Barbies Nachbarn in Peru spricht, der von Barbie um Geld betrogen wurde und deshalb dessen Vergangenheit aufdeckte, hält er sich zurück und wird dafür mit einem der Springpunkte seiner Geschichte belohnt: Es hat also Barbie mehr geschadet, einen Geschäftsmann hereinzulegen, als zu foltern, zu morden und nach Auschwitz zu deportieren. Daß Ophüls eine Haltung zu seinen Partnern im Gespräch nicht vorentscheiden kann, gibt den Gesprächen Lebendigkeit hinzu. Er gewinnt mehr als den Text des Sprechens, fördert: Personen im Gespräch, und es zählt der Augenblick, zu dem die Gespräche geführt wurden.

Diese Gespräche, die schon eine Handlung sind, montierte Ophüls nach einem abgestuften Verfahren der Alternierung. Ein Gespräch unterbricht das laufende, ergänzt es, widerspricht ihm, reißt wieder ab und wird später in anderem Zusammenhang wieder aufgenommen. Als Ophüls den Anwalt von Barbie befragt, schießt er die Auskunft eines Mannes ein, der sagt, der Anwalt bekäme Geld von einem Rechtsradikalen in der Schweiz, und läßt dann den Anwalt sagen, er bekäme von niemandem Geld. Von wem bekommen Sie Geld - er kriegt sein Geld aus der Schweiz - ich kriege von niemandem Geld: Das ist nach dem Text geschnitten und versetzt Personen, die einander vielleicht nie begegnet sind, an einen gemeinsamen Ort, den es nicht gibt. Ein anderes Mal fragt Ophüls einen französischen Widerstandskämpfer, warum man es nicht zugeben wolle oder könne, daß Menschen unter der Folter etwas verraten, und ein anderer Widerstandskämpfer an anderem Ort versucht die Antwort. Dieser Schnitt, der im Verfahren dem zuvor beschriebenen ähnlich ist, ist keine gewaltsame Versetzung, die Auseinanderliegendes zusammenbehauptet und damit ins Unwirkliche rückt. Mit diesem Schnitt wird vorstellbar, daß Menschen, die sich räumlich fern sind, ein gemeinsamer Geist verbindet.

Bei seinem Verfahren der Montage kann Ophüls mitten in ein Gespräöch springen und kann mit Leichtigkeit Auslassungen machen, hat auch die Wahl der Reihenfolge. Um eine Gespräch kürzen oder umstellen zu können, müßte er sonst an einem Schauplatz viele Kameraeinstellungen machen und mehr, als die meisten Schauplätze hergeben. Eine Gefahr des Verfahrens ist es, daß beinahe alles montiert werden kann: auch für Grass und Cohn-Bendit kann eine Stelle gefunden werden. Ob Cohn-Bendit in einem Film gehört, muß anders als vom Verfahren entschieden werden, vielleicht hat Ophüls ihn hereingebracht, um zu zeigen, wie das Gerede die Ereignisse zudeckt. Ein Film über das Sprechen.

Die Schnitte in Ophüls‘ Film stellen mit einfachen Mitteln komplexen Sinn her. Wie kleine Schläge des Hirnstroms treiben sie in eine Überwachheit, unter der eine traurige Erschöpfung anwächst.

Der Filmemacher Harun Farocki produziert seit den 60er Jahren, ist bekannt durch seine Essayfilme „Etwas wird sichtbar“, „Wie man sieht“, „Bilder der Welt und Inschrift des Krieges„; er arbeitet(e) auch fürs „Sandmännchen“ und die „Sesamstraße“.