In Chinas Führungsetage ist der Kampf zweier Linien ausgebrochen

■ Im Machtapparat scheint Premierminister Li Peng den Parteichef Zhao Ziyang vorerst ausgebootet zu haben / Noch ist offen, wer Deng Xiaopings Erbe antreten wird

„Die Alten müssen abtreten, damit die Jungen aufsteigen können“, verkündete ein Spruchband auf dem Tiananmen, dem Platz des Himmlischen Friedens im Zentrum von Peking, als Deng Xiaoping in der vergangenen Woche Michail Gorbatschow verabschiedete. Den Millionen, die in den Straßen Pekings heute mehr Demokratie fordern, ist die Ironie dieses Satzes mit Sicherheit nicht entgangen. War es doch vor einer Dekade noch Dengs eigener Slogan, mit dem er seine ältlichen politischen Rivalen aus ihren Positionen entfernen ließ, als er auf der Welle der frühen „Demokratischen Bewegung“ an die Macht zurückkehrte. Viele chinesische Führer haben seit Beginn der ökonomischen Reformen vor über zehn Jahren von der Notwendigkeit eines politischen Wandels gesprochen. Aber nur wenige haben damit mehr gemeint als die Verbesserung der ökonomischen und administrativen Effizienz. Das Gerede über die Demokratie war gewöhnlich nichts anderes als eine Attacke auf die Bürokratie. Oft wurde es von den ökonomischen Reformern zur Sicherung ihrer Position in der politischen Hierarchie und zur Konsolidierung ihrer Machtbasis eingesetzt, während diejenigen, die für eine Rückkehr zu zentraler Lenkung und Stärkung der Parteikontrolle eintraten, einer demokratischen Öffnung widersprachen, weil sie nur zur nationalen Zwietracht und zu „großem Chaos“ führe.

Über die letzten zwei Jahre hat in der Parteihierarchie ein heftiger Machtkampf stattgefunden. Obwohl der 13.Parteitag im Oktober 1987 diesen internen Konflikt schlichten sollte, haben die damaligen Ernennungen zum Ständigen Ausschuß des fünfköpfigen Politbüros, dem der wichtigste Mann Chinas, Deng Xiaoping, formal nicht angehört, diesen Konflikt nur institutionalisiert. Durch die Ernennung des liberalen Zhao Ziyang zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei und des konservativen Li Peng zum Premierminister wurde der Konflikt in der Parteihierarchie festgeschrieben. Dabei sollte das delikate Gleichgewicht zwischen den beiden wichtigsten Posten in der politischen Struktur Chinas durch die Person Deng Xiaopings gewahrt werden. Eine Tatsache, die Zhao Ziyang jetzt überraschenderweise in seinen Gesprächen mit Michail Gorbatschow enthüllte, als er zugab, daß alle Partei- und Regierungsmaßnahmen vor ihrer Durchführung Deng zur abschließenden Zustimmung vorgelegt werden müssen.

Bereits in den letzten Monaten untergruben das zunehmende ökonomische Chaos und Studentenproteste die Machtstellung Zhao Ziyangs. Li Peng konnte ganz offensichtlich seine Position stärken und erhob Anspruch auf Dengs Nachfolge. Vor Ausbruch der populären Massenbewegung hatte er bei den ökonomischen Reformen auf die Bremse getreten und damit auch die Aussichten auf politische Reformen reduziert. Doch nun, nach Ausbruch der Proteste, hängt selbst an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, einer Prestigeinstitution der Regierung, ein Spruchband mit den Worten: „Nieder mit dem Politbüro“.

Wer nun sind diese Männer, die Chinas Schicksal bestimmen und deren Köpfe die Protestbewegung fordert? Es sind die fünf Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros, die nun im Zentrum des Sturmes stehen: Hu Qili, Yao Yilin, Qiao Shi, Li Peng und Zhao Ziyang. Der von den Studenten meistgehaßte unter ihnen ist der 60jährige Premier Li Peng, den Chinas verehrter Führer Zhou Enlai im Alter von drei Jahren adoptiert hatte, nachdem sein Vater von den Truppen der Kuomintang ermordet worden war. Li Peng steht für das, wogegen die Studenten kämpfen, nämlich Vetternwirtschaft und Korruption. Sein Aufstieg zur Macht ist für sie nur das Resultat von Familienbeziehungen.

In der Sowjetunion in den frühen 50er Jahren als Ingenieur ausgebildet, studierte Li Peng danach am Moskauer Institut für Energiewirtschaft. Nach seiner Rückkehr nach China 1955 arbeitete er in Kraftwerken im Nordosten des Landes. 1979 zum Vizeminister für die Elektrizitätswirtschaft ernannt, wurde er später Energieminister und Vorsitzender der staatlichen Bildungskommission. Seit seiner Wahl zum Zentralkomitee der Partei hat er dort einen meteorhaften Aufstieg erlebt. Li Peng gilt als Konservativer, der durchgehend für eine Stärkung der zentralen ökonomischen Planung und eine Verlangsamung der Wirtschaftsreformen eintritt. Vor allem seine Arroganz hat die Studenten erbost. Bei seinem jüngsten Besuch eines Krankenhauses und auf dem Tiananmen benahm er sich „wie ein feudaler Großgrundbesitzer“, gab ein Student zu Protokoll.

Sein Konkurrent Zhao Ziyang dagegen kämpft nicht erst seit seinem Rücktrittsangebot vor wenigen Tagen, sondern schon seit Monaten um sein politisches Überleben. Kürzlich widersprach er dabei sogar seinem Mentor Deng Xiaoping, als dieser die gewaltsame Unterdrückung der anfänglichen Studentenproteste forderte. Nicht zuletzt deswegen ist er zum politischen Champion der Studenten geworden. Als er schließlich am Donnerstag mit den Studenten zusammentraf, entschuldigte er sich für sein Versäumnis, nicht vorher auf ihre Forderungen reagiert zu haben. Er ist in der gegenwärtig festgefahrenen Situation an einem politischen Kompromiß interessiert.

Der 69jährige Zhao ist ein überzeugter Wirtschaftsreformer. Geboren als Sohn einer wohlhabenden Familie in der Provinz Henan, gilt er als brillanter Politiker. Seine Vorliebe für westliche Couture hat ihm den Ruf des bestgekleideten Mannes Chinas eingebracht hat. Er trat der Kommunistischen Jugend im Alter von 13 und der Partei im Alter von 19 Jahren bei. Seinen Ruf erwarb er sich in den 50er Jahren im Süden Chinas als effizienter und für die Landreform verantwortlicher Provinzverwalter. Während der Kulturrevolution in Ungnade gefallen, machte er sich in Dengs Heimatprovinz Sichuan einen Namen. Unter Dengs Patronage stieg er 1979 ins Politbüro auf und wurde 1980 zum Premier gewählt. Obwohl die Parteihierarchie Li Peng die notwendige Unterstützung zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung gewährt hat, könnte sein Sieg in dem Machtkampf dennoch begrenzter Natur sein. Denn wenn Li Peng nun die Macht des Zentrums wiederherstellen und auch noch die zentralistische Planung stärken will, dann wird er dies nun auch noch gegen den heftigen Widerstand der südlichen Provinzregierungen in Guangdong und Hainan durchsetzen müssen, die von den Initiativen seines Rivalen Zhao Ziyang finanziell erheblich profitiert haben und sich nun stark genug fühlen, Peking eins auszuwischen. Es ist durchaus denkbar, daß Zhao Ziyang aufgrund seiner starken Basis in den Provinzen am Ende doch noch als Erbe Dengs an die Macht zurückkehren könnte.