BRD-Firmen in China: Wer drin ist, bleibt drin

■ Unternehmer sehen keine Alternative zur Fortsetzung des Liberalisierungskurses / Heftige Schwankungen im China-Handel / „Eine Euphorie wird es nicht mehr geben“

Berlin (taz) - Ruhige Zeiten hatten bundesdeutsche Unternehmer im China-Handel der letzten zehn Jahre noch nie. Seit die Volksrepublik ausländischen Firmen geöffnet ist, haben Warenverkehr, Handelsbilanz und Investitions-Statistik abrupte Sprünge gemacht. Die Massaker vom Wochenende in Peking haben die Zukunftsaussichten für Banken- wie Firmenmanager wieder erheblich verdüstert. Zu verdanken ist das beileibe nicht nur der Brutalität der Volksbefreiungsarmee. Die chinesische Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise, die durch Reaktionen der Bevölkerung auf das Abschlachten noch verstärkt werden dürfte. Unmittelbare Auswirkungen der militärischen Mobilisierung sind bereits auf den Transportsektor, die Benzinrationierung und die Versorgung der Bevölkerung mit Brennstoffen zu erkennen. Ob es zu längeren Streiks oder informellen Arbeitsniederlegungen kommt, wagt derzeit niemand vorherzusagen. Vor allem ist völlig unklar, in welchem Maße die wirtschaftlichen Reformen weitergehen, wo die politischen so blutig abgestoppt worden sind. Zynismus der Geschichte: Wenn sich die Spannungen innerhalb der Armee weiter erhöhen, wird ein Kompromiß über den Fortgang der Liberalisierung wahrscheinlicher.

„Eine Euphorie wird es nicht mehr geben“, faßt Dieter Haury, Geschäftsführer des Ostasiatischen Vereins in Hamburg, die Konsequenzen für bundesdeutsche Fernost-Händler zusammen. In der Organisation sind auch die 100 bis 150 Unternehmen zusammengeschlossen, die mehr oder weniger regelmäßig mit China handeln - die Kerngruppe beziffert Haury auf etwa 30 bis 50 Firmen. Die Euphorie war zum ersten Mal mit den Wirtschaftsreformen von 1978/79 ausgebrochen, als Scharen von Manager-Delegationen die Volksrepublik mit den mehr als eine Milliarde EinwohnerInnen als Riesenmarkt wahrzunehmen begannen. Zum Zuge kam damals nur die allererste Welle: Die Aufträge in das Ausland schnellten so stark in die Höhe, das Handelsdefizit nahm so schnell zu, daß die Regierung die Notbremse zog und die Einfuhren wieder heftig zurückschraubte. So standen 1979 den chinesischen Ausfuhren in die BRD, die sich auf rund eine Milliarde Mark beliefen, Importe von 2,8 Milliarden Mark gegenüber. Im Jahr darauf, als sich auf beiden Seiten langsam Realismus breitmachte, schrumpfte das Handelsbilanz-Defizit um mehr als die Hälfte auf rund 600 Millionen Mark. Dabei blieb es bis 1984.

Die zweite Welle der Euphorie brach 1985 aus, als die angestrebte Modernisierung der chinesischen Wirtschaft einen nahezu irrsinnigen Auftragsboom brachte. Während die Exporte nur von 2,4 auf 2,6 Milliarden Mark stiegen, schnellten die Orders in die BRD von drei auf 6,4 Milliarden Mark in die Höhe und gingen auch 1986 nur unwesentlich zurück. Der Anteil bundesdeutscher Unternehmen am chinesischen Außenhandel stieg auf 12,5 Prozent, während der Anteil japanischer Firmen auf weniger als 50 Prozent sank. Zugleich begannen auch die „kleinen Tiger“, vor allem Südkorea, die in China dringend benötigten Investitionsgüter zu verkaufen.

Erneut kürzte die chinesische Regierung die Importe heftig zusammen. Prominentestes Opfer wurde Siemens/KWU, die auf die Lieferung von zwei Akws für vier Milliarden Mark verzichten mußte. Bei beständig sinkenden Importen aus der BRD und ebenso beständig steigenden Exporten hierher ist die bundesdeutsch-volksrepublikanische Handelsbilanz inzwischen fast wieder ausgeglichen: Von 1987 auf 1988 fielen die Importe von 5 auf 4,9 Milliarden Mark, während die Exporte von 3,9 auf 4,3 Milliarden Mark stiegen. Das Minus in der deutsch-chinesischen Handelsbilanz fiel damit innerhalb von drei Jahren von 3,9 Milliarden auf 600 Millionen Mark.

Die Zahlen geben das Ausmaß des Handels allerdings nicht exakt wieder, weil er teilweise über Hongkong abgewickelt wird. So kaufen die bundesdeutschen Großkaufhäuser oder der Otto-Versand ihre Billig-Bekleidung von der Kronkolonie aus in China ein; wenn die Ware an den Sitz der Einkäufer geliefert und von dort aus Richtung BRD verschifft wird, gilt sie statistisch als Einfuhr aus Hongkong.

Im Importgeschäft, von der chinesischen Seite aus gesehen, sind vor allem Großanlagen-Bauer wie Mannesmann, Thyssen und Krupp. Während auf bundesdeutscher Seite der Verkauf von Investitionsgütern mehr als zwei Drittel der Ausfuhren ausmachte, steigt der Anteil der Fertigwaren am Export aus China ständig an. Dabei stehen Bekleidung, Textilfasern, Seide und Leder nach der Menge deutlich im Vordergrund; die höchsten Zuwachsraten erzielten aber elektrotechnische Erzeugnisse mit mehr als einer Verdoppelung, Kunststoffwaren, Kinderspielzeug und selbst Christbaumschmuck (+ 97 Prozent im ersten Halbjahr 1988).

Ganz unwahrscheinlich ist der Rückzug von Firmen, die bereits in China präsent sind. In Peking gibt es 120 bis 140 Dependancen bundesdeutscher Unternehmen, in Schanghai etwa 30 bis 40. Die Manager werden nicht müde zu beklagen, welche bürokratischen Hemmnisse zu überwinden sind, bis ein Kooperationsvertrag abgeschlossen, ein Büro eingerichtet oder gar ein Werk aufgebaut ist. Resultat: Wer drin ist, bleibt drin. Unrealistisch ist auch die Rückgabe von Großaufträgen wie der Bau der U-Bahn von Schanghai durch ein Firmen-Konsortium unter maßgeblicher Beteiligung von Siemens oder der Bau einer LKW-Fabrik in der Inneren Mongolei, an der Daimler-Benz beteiligt sein wird.

Wenn sie auch vergleichsweise winzig bleiben: Stetig zugenommen haben die bundesdeutschen Direktinvestitionen in China. Derzeit soll es rund 30 Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischen Firmen geben. 1985, als ein Investitionsförderungs- und Schutzvertrag unter anderem gegen die Verstaatlichungs-Gefahr abgeschlossen wurde, beliefen sich die amtlich erfaßten Investitionen auf 62 Millionen Mark; Ende 1987 waren es 81 Millionen, die sich auf fünf Unternehmen mit rund 2.000 Beschäftigten verteilten. 1988 ist der Bestand auf 107 Millionen Mark gestiegen. Auto-Bau, Elektrotechnik und Chemie sind die wichtigsten Branchen, in denen investiert wurde.

Mit anderen Erfassungsmethoden geht der Ostasiatische Verein von derzeit 250 Millionen Mark aus, wovon allein 150 Millionen auf das VW-Werk in Schanghai entfallen, wo mit einer 50-Prozent-Beteiligung aus Wolfsburg im letzten Jahr 15.500 PKWs Marke „Santana“ hergestellt wurden. In diesem Jahr sollen die 2.300 Beschäftigten rund 18.000 Mittelklasse -PKWs zusammenbauen. Dem Firmensprecher Ortwin Witzel zufolge ist diese größte bundesdeutsche Investition auch von den Demonstrationen in Schanghai überhaupt nicht berührt worden. Der Grund: Die Entfernung bis zum Stadtzentrum betrage 35 Kilometer.

Die „Shanghai Volkswagen Automotive Company“ hat dabei den Vorteil, noch als Vorzeigeobjekt zu dienen. Daß auch dort die Alltags-Geschäfte „day by day“ abgewickelt werden, räumt aber selbst Witzel ein. Nach inoffiziellen Schätzungen ist die Inflationsrate auf 40 Prozent gestiegen. Es herrscht nicht nur Devisenmangel; auch in den chinesischen Betrieben ist das Geld knapp geworden. Die Konjunktur ist mit 17,7 Prozent Wirtschaftswachstum (geplant waren acht Prozent) nicht nur „überhitzt“, sondern strahlt auch von den kapitalistischen Sonderwirtschaftszonen und Küstenprovinzen mit ihren privatwirtschaftlichen Unternehmen in das Landesinnere ab. Nach Angaben des US-Magazins 'Business Week‘ stieg die Industrieproduktion entlang der Küste um 24 Prozent an, im Landesinnern nur um 5,1 Prozent. Die exzessive Nachfrage nach Rohstoffen und Lebensmitteln führen dazu, daß das Hinterland leergekauft und die Inflation innerhalb des Landes „exportiert“ wird, klagen Politiker aus den betroffenen Provinzen. Zugleich hat die Korruption innerhalb der letzten beiden Jahre drastisch zugenommen.

Übereinstimmung herrscht weltweit und auch bei bundesdeutschen Unternehmern darin, daß die Regierung kaum eine andere Wahl als die Fortsetzung der Reformen hat. Eine militärisch durchorganisierte Wirtschaft mag sich in den norddeutschen Häfen und den süddeutschen Hochhäusern niemand vorstellen.

Dietmar Bartz