Blumen auf der Anklagebank

■ Ingrid Strobls Gratwanderung zwischen unterschiedlichen Erwartungen und Versuchen der Vereinnahmung

Ein Farbklecks erfreute bei aller Tristesse des Gerichtssaals an fast jedem Verhandlungstag das Auge: Blumen auf der Anklagebank, anfänglich mühsam und einzeln von ProzeßbesucherInnen in den Saal geschmuggelt, später vom Vorsitzenden Richter Arend sogar in Sträußen erlaubt. Ein Ausdruck der Zuwendung und Solidarität vieler im Publikum zu der Angeklagten.

Wie kaum ein anderes 129a-Verfahren ist dieser Prozeß in einer linken und liberalen Öffentlichkeit wahrgenommen, diskutiert und kritisiert worden. Eine Gruppe Prominenter und weniger Prominenter beobachtete das Verfahren, ein regelmäßiger und ausführlicher „Pressedienst Ingrid Strobl“ informierte über die Verhandlungstage und eine eigens zum Prozeß herausgegebene Zeitung 'Clockwork 129a‘ berichtete wöchentlich zu den Prozeßtagen über dieses wie auch über andere 129a-Verfahren.

„Grüße von den Frauen aus Bochum - Hamburg - Bremen“ oder anderen bundesdeutschen Landen wurden Ingrid Strobl immer wieder zugerufen, die sie mit einem erfreuten „Danke, zurück“ quittierte, bevor ein Saaldiener gegen die unerlaubte Kommunikation zwischen Angeklagter und Publikum einschritt. Denn für die Journalistin sind Gespräche ja nur unter Kontrolle und mit Trennscheibe erlaubt.

Viele der BesucherInnen waren nicht FreundInnen, Bekannte oder KollegInnen, sondern gehörten zu Knast- und Solidaritätsgruppen. Bei einzelnen schien die Solidarität mit der Angeklagten nicht immer ungebrochen, da ging es auch um das richtige politische Verhalten. Allein die Frage auf dem Gerichtsflur gestellt, was denn mit „Mr.X“ los sei, und noch genauer von Peggy Parnass auf einer Pressekonferenz formuliert, „warum meldet er sich nicht“, erschien als schwerer Regelverstoß. Denn für so manch eineN aus der „Soli -Szene“, so scheint es, ist Ingrid Strobl Heldin oder Märtyrerin und wird für das eigene Gesellschaftsbild und politische Interesse vereinnahmt. „Politkitsch, der sich auf Kosten von Ingrid in den vergangenen 16 Monaten abspielte“, schrieb Alice Schwarzer in der 'Emma‘, „wird dem Ernst der Lage, in der Ingrid Strobl sich befindet, alles andere als gerecht“, und kritisierte die „Naivität, Selbstgefälligkeit und den Antifeminismus“, die hier „mit im Spiel“ seien. Auch linke Medien versuchten die Situation Ingrid Strobls für sich auszunutzen. Die 'Deutsche Volkszeitung‘ warb wochenlang mit ihrem Konterfei für sich.

Es muß für eine Gefangene, die auf die Unterstützung und Solidarität von draußen nötig angewiesen ist, eine Gratwanderung sein, auf die unterschiedlichen Erwartungen und Versuche von Vereinnahmung angemessen zu reagieren und den eigenen Weg zu finden in einer Umgebung, in der es keine Anregungen, vor allem auch keine Diskussionen, schon gar nicht mit Gleichgesinnten, gibt. Einzelne Erklärungen der Journalistin, in denen sie sich in plakativen Polit-Parolen zum antiimperialistischen Kampf bekennt und die im Widerspruch zu ihrer gewohnt differenzierten und bissig spitzen und feinen Schreibe stehen, mögen ebenso Ausdruck davon sein wie ihr zunächst harsches, auch erstarrt wirkendes Auftreten vor Gericht, das sie aber sehr bald ablegte. Deutlich sichtbar im Laufe dieses langen Verfahrens wird immer mehr, wie sehr es sie beanspruchte und an ihr zehrte, bei aller Energie und Kraft, die sie auch ausstrahlte. Äußeres Anzeichen, so eine Freundin: „Sie hat in diesen letzten Monaten mindestens zehn Kilo abgenommen.“

Gitti Hentschel