Chinesische Regierung erteilt Schießbefehl

■ Armee soll mit Schußwaffe gegen „Konterrevolutionäre“ vorgehen / Behörden stellen Steckbriefe für 21 Studentenführer aus Bundesregierung stoppt Entwicklungshilfezusagen / Bis auf weiteres kein Geld von der Weltbank / Grüne wollen „China-Aid“

Peking/Bonn (dpa/ap/afp/taz) - Die chinesische Führung in Peking fährt fort mit der totalen Zerschlagung der Bewegung für Freiheit und Demokratie. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit hat gestern der Polizei und dem Militär im ganzen Land den Befehl erteilt, beim Vorgehen gegen „Randalierer und Konterrevolutionäre“ von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Das ist das erste Mal, daß ein solcher Befehl in der VR China bekannt wurde. Außerdem wurden Steckbriefe von 21 Studentenführern ausgegeben. Ausführliche Personenbeschreibungen und die Lebensläufe der Gesuchten darunter Wuer Kaixi, Wang Dan und Chai Ling - wurden vom Staatsfernsehen ausgestrahlt. Von Wuer Kaixi, dem wohl prominentesten Studentenaktivisten, wurden auch Aufnahmen gezeigt, die offensichtlich ausländischen Nachrichtensendungen entnommen waren. „Auf diesen Bilder können wir das wahre, häßliche Gesicht vom Führer der Autonomen Studentenvereinigung Pekings sehen“, kommentierte der Nachrichtensprecher.

Insgesamt 1.000 Personen sollen nach Behördenangaben festgenommen worden sein. Darunter Aktivisten von autonomen Arbeiter- und Studentenverbänden. Rundfunk und Fernsehen weiteten am Dienstag die Propagandakampagne gegen den Regimegegner Fang Lizhi aus. Gegen den Astrophysiker war ein Haftbefehl erlassen worden, nachdem er, zusammen mit seiner Frau Li Shuxian, in der US-Botschaft in Peking Zuflucht gesucht hatte.

Auf amerikanischer Seite schließt man nicht aus, daß die chinesische Führung in nächster Zeit Massendemonstrationen vor der US-Botschaft organisiert, bei denen die Auslieferung Fangs gefordert werden wird. Das KP-Organ 'Renmin Ribao‘ veröffentlichte am Dienstag heimlich aufgenommene Fotos von Fang und seiner Frau, einen Bericht über den Haftbefehl und einen Leserbrief, in dem es hieß: „Ihr habt euch in einer ausländischen Botschaft versteckt, zum Teufel, was seid ihr bloß für Helden?“

Die Bundesregierung hat inzwischen neue Entwicklungshilfezusagen für Peking auf Eis gelegt. Die für den Wochenanfang vorgesehene Unterzeichnung von Verträgen wurde abgesagt, bestätigte ein Sprecher des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit am Dienstag. Zu den Abkommen gehört die schon früher vereinbarte, aber noch nicht formell unterschriebene Unterstützung des U-Bahn-Baus in Shanghai. Dafür will Bonn in sechs Jahren rund 460 Millionen Mark aufwenden. Auch die Weltbank hat angesichts der gegenwärtigen Situation in China beschlossen, der Volksrepublik bis auf weiteres keine neuen Kredite mehr zu gewähren.

Der Bundestag soll nach dem Willen der SPD am Donnerstag zu den Vorgängen in China Stellung nehmen. Der SPD-Fraktions und Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel sagte gestern in Bonn, die SPD strebe für die Debatte eine gemeinsame Entschließung an. Darin solle unter anderem den chinesischen Staatsbürgern, die wegen der Ereignisse nicht nach China zurückkehren wollten, der weitere Aufenthalt in der Bundesrepublik und den Studenten eine entsprechende Förderung gewährleistet werden. Zuvor hatte bereits Petra Kelly (Die Grünen) einen ähnlichen Erschließungsantrag vorgelegt, in dem eine eindeutige Verurteilung des Massaker -Regimes verlangt wurde.

Die Europakandidatin der Grünen, Eva Quistorp, forderte eine Allianz aus Politikern, Künstlern und Studenten, die nach dem Muster des jüngst in der USA gegründeten Komitees „China-Aid“ organisiert werden könne. Sie rief zu einem Hearing im Europaparlament über die Lage Chinas und einer Spendenkampagnen für den demokratischen Widerstand in China und die Opfer des Massakers in Peking auf.