Zug: Wie es „Number One“ gefällt

Der kleinste Kanton der Schweiz ist zum reichsten des Alpenlandes verkommen / Um das Image aufzupolieren ließ der Bürgerrat ein Schauspiel verfassen / Doch es ging mit dem Mäzen Marc Rich hart ins Gericht und fiel der Zensur anheim / Auch von den anderen Geldwaschanlagen wollen die Politiker wenig veröffentlicht sehen  ■  Aus Zug Thomas Schuler

Der Sonnenuntergang über dem Zugersee zählt zu den schönsten auf der Welt, sagen die Zuger. Und in ihrem selbstzufriedenen Tonfall klingt mit, wie gut man es doch habe, im kleinsten aber reichsten der 23 Schweizer Kantone. Die Stadt, rund 30 Kilometer südlich von Zürich, zählt zwar nur etwas mehr als 20.000 Einwohner, die Zahl derer, die hier ihr Geld verdienen, beträgt aber das Sechsfache. Denn neben der landschaftlichen Schönheit wird der Kanton vor allem wegen seines ungewohnt niedrigen Steuersatzes geschätzt. Fast 10.000 Aktiengesellschaften sind hier registriert, zwei Drittel sind allerdings nur in Form eines Messingschildes an der Tür einer Anwaltskanzlei und eines Bankkontos am Finanzplatz Zug vertreten. Wer seinen Wohnsitz nicht in Zug errichten will, der läßt einen Strohmann Telex -Meldungen empfangen, Briefe verschicken oder Verträge unterzeichnen, um als „Schweizer Firma“ Steuern zu sparen. Manche Rechtsanwälte erledigen Geschäfte für bis zu 100 Firmen. Stadt und Kanton können sich über jährliche Steuereinnahmen von mehreren hundert Millionen Mark freuen und stehen vor dem Problem, wofür sie das viele Geld ausgeben sollen und ob nicht eine weitere Senkung der Steuern angebracht sei?

Vielleicht sollte man jetzt einmal innehalten und warten, bis sich die Sonne hinter den Bergen gesenkt hat. Das ist dann gewiß der richtige Zeitpunkt, um zusammen mit Manfred Züfle, einem hier aufgewachsenem und später nach Zürich übergesiedelten Autor, ein dunkles Kapitel Zuger Geschichte aufzuschlagen. Es handelt von einem Fall, der „Zensur gleichkommt“. wie es die „Schweizer Autorinnen- und Autoren -Gruppe Olten“ beim 9. Europäischen Schriftstellerkongreß Mitte Mai in Fribourg nannte. Von Zensur sprach auch der Autor an jenem Freitagabend, als er in der Kantons- und Stadtbibliothek Teile des „Stückes, das in Zug nicht gespielt werden darf“, vorträgt. Es ist natürlich in erster Linie sein Stück, dann aber auch das Stück des Finanzplatzes Zug und wohl ein beispielhaftes für die Schweiz überhaupt. Denn viele sagen, „Zug ist in der Schweiz was die Schweiz in Europa ist“, ein wegen seiner Verschwiegenheit gut funktionierendes System, um Schwarzgeld reinzuwaschen.

Adam, Gott und

der Welthandel

Hauptfigur am Zuger Finanzplatz ist eine Person, die Züfle als „Number One“ auftreten läßt: Der Rohstoffhändler Marc Rich. Ihm liegen die „Ratsherrenbüttel“ zu Füßen, während er siegesgewiß um Margarethe, eine Zuger Symbolfigur“ wirbt, und ihr erklärt, der alttestamentarische Sündenfall sei von Adam und Gott, dem Chef, nur inszeniert worden, damit Adam den Welthandel in Gang bringen konnte.

Dieses Bild von Marc Rich ist durchaus nicht realitätsfremd. Denn seitdem er sich bei der New Yorker Handelsfirma Philipp Brothers vom Angestellten im Postbüro zum Starhändler hochgearbeitet und 1974 in Zug eine eigene Firma gegründet hatte, verdient sich der 1935 in Antwerpen geborene Wahlamerikaner seine Millionen mit fragwürdigen Geschäften - trotz UNO-Boykott liefert er etwa Öl nach Südafrika. Zu Beginn der achtziger Jahre geriet Rich in die Schlagzeilen, als die USA erfolglos seine Auslieferung forderten. Er war beschuldigt worden, die Ölpreisbestimmungen verletzt und unversteuert seine Gewinne in die Schweiz transferiert zu haben. 172 Millionen US -Dollar soll Rich 1984 bezahlt haben, um die Anklage gegen seine US-Niederlassung niederzuschlagen. Die persönliche Anklage gegen ihn blieb allerdings bestehen. Für die Ergreifung wurde eine sechsteilige Summe ausgesetzt.

So eine Affäre lädt natürlich zu Klatsch und Tratsch ein; und so ist es auch kein Wunder, daß Zug mit seinem vielen Geld ins Gerede kam. Im Sommer 1985 wurde das offenbar auch dem Bürgerrat klar. Manfred Züfle wurde aus Zürich geholt und beauftragt, ein kritisches Theaterstück zu schreiben, „um die Stadt wieder ins Gespräch zu bringen“. Es wurde vereinbart, daß der Bürgerrat die Herstellung des Textes bezahlt und, bei Gefallen, für die Aufführung einen Träger sucht. Dafür kann aber ohnehin nur die „Theater- und Musikgesellschaft Zug“ (TMGZ) in Frage, weil sie im „Casino“ die einzige brauchbare Bühne habe, sagt Züfle. Das „Casino“ allerdings übertreffe in technischer Ausstattung selbst das Zürcher Schauspielhaus.

Im Mai 1987 war das Stück mit dem Titel Die Werbung oder Margarethe und der schwarze Toni fertig. Der Bürgerrat reichte es weiter an die TMGZ. Aber zur Aufführung wird es nicht kommen, erfuhr Züfle aus Zeitungsberichten. Zu einem Gespräch zwischen dem Autor und der Gesellschaft, das nach einer Vereinbarung vor der Entscheidung hätte stattfinden sollen, kam es auch nicht. Als Begründung für die Ablehnung gab die TMGZ an, es müsse bezweifelt werden, ob das Werk dem außerordentlich großen Aufwand an Technik, Arbeit und Geld entspräche. Der sei nur vertretbar, „wenn damit eine echte Bereicherung des Kulturlebens erreicht oder zumindest mit einer breiten Publikumsakzeptanz gerechnet werden kann. Zudem sei das Stück „politisch nicht brisant“.

„Number One“

hat die Stadt gekauft

Diese Argumente klingen allerdings recht unglaubwürdig, wenn man weiß, daß die TMGZ-Gelder aus dem großen Steuertopf kassiert und darüber hinaus von Marc Rich finanziell gestärkt wird. Letzeres veranlaßte Züfle zu dem Satz, daß sein Stück in Zug längst gespielt werde. Rich habe die Stadt gekauft und gelte deshalb als Musterbürger mit kleinen Schwächen. Der Zuger Eishockey-Verein stand etwa vor dem Konkurs, bis Rich mit 230.000 Franken jährlich aushalf. Notleidende Bergbauern bekommen 540.000 Franken jährlich für eine Stiftung, der Fußball-Verein kann auf ihn zählen, für die Fastnachts-Ferien gibt's Rich-Franken und natürlich will der Direktionspräsident der Zuger Kantonalbank, Jost Grob, einen guten Kunden nicht verärgern. Wie es der Zufall will, ist Herr Grob auch Präsident der TMGZ und hat als solcher die Ablehnung unterzeichnet. Das eine hat mit dem anderen natürlich nichts zu tun.

Vielleicht hätte Manfred Züfle besser ein Stück über die Wohnungsnot schreiben sollen, denn die ist in Zug wirklich brisant. Denn wie aus einer im vergangenen Jahr im Auftrag der Finanzdirektion erarbeiteten Studie hervorgeht, ist zwar der Kanton reich, Arbeitereinkommen fallen aber nur durchschnittlich aus und sind nach Abzug von Steuern und Miete gar niedriger als in Zürich oder Schaffhausen. Die Studie sagt auch warum: Die Mieten sind auf Grund der wirtschaftlichen Attraktivität überdurchschnittlich hoch, wenn überhaupt eine Wohnung zu finden ist. Die Studie blieb denn auch Monate unter Verschluß, Brisantes bleibt in Zug eben besser unveröffentlicht.

Auch in diesen Tagen gibt es vieles, das in Zug nicht zur Sprache kommen soll. Als Daniel Brunner von der Sozialistisch-Grünen Alternative im Gemeindeparlament davon spricht, daß der „Streit Ausdruck eines gekränkten Stolzes“ sei, und daß das Zug der politisch Herrschenden eine „Hure der Mächtigen und Reichen“ sei, da wird ihm das Wort entzogen, weil er nicht zur Sache rede. Dabei wäre ganz interessant gewesen, was Brunner zum Vorwurf fehlender politischer Brisanz hätte fragen wollen. Etwa warum denn die „Orda AG“ des Nukem-Partners Alfred Hempel, die mit illegalen Schwerwasserlieferungen den Bau eines indischen Atomkraftwerkes ermöglicht haben soll, für Zuger Zeitungen kein Thema sei? Warum nichts zu lesen sei über die „Zapta AG“ des Österreichers Udo Proksch, die in einen riesigen Versicherungsbetrug, einen Sprengstoffanschlag mit Toten verwickelt ist und zuerst in Zug angesiedelt war? Oder über die Isan-Barbouti-Firmen IBI, die am Bau der libyschen Chemiefabrik in Rabta beteiligt sind, sowie über die Concor -Raketen-Geschäfte des Helmut Raiser und zuletzt über die Manipulation des Aluminium-Marktes durch die Marc Rich AG?

Mit illegalem Geld in die Sonne blinzeln

Ist das Schweigen über die Quellen des großen Geldes etwa ein Schweizer Wesenszug, der im eidgenössischen Bankgeheimnis gipfelt? In der Weigerung zu überprüfen, ob Gelder aus illegalen Geschäften stammen? Ist es typisch für dieses Land, daß erst jetzt über effektivere Gesetze gegen Geldwäscherei nachgedacht wird, nachdem die Justizministerin zurückgetreten ist, weil ihr Mann in eine solche Angelegenheit verwickelt war und sie ihn über die Ermittlungen informiert hat? Vielleicht gibt es in der Schweiz und speziell in Zug eben zuviele, die mit illegalem Geld genüßlich in die untergehende Sonne blinzeln, als daß es noch erwähnenswert wäre.

Das „Casino“ zeigt es übrigens an jenem Abend, als Züfle in der Bibliothek sein Stück vorträgt: Zeichen von kultureller Öffnung. Auf dem Spielplan steht ein Musical des Moskauer Theaterstückes: Sonnenuntergang. Natürlich hat man sich das etwas kosten lassen, im reichsten Kanton der Schweiz.