Düsteres Erscheinungsbild des Amtes

Der amtliche Bericht der Berliner „Projektgruppe Verfassungsschutz“ (Auszüge)  ■ D O K U M E N T A T I O N

Es ist zuvor schon erwähnt worden, daß das Landesamt für Verfassungsschutz zuletzt einen radikalen Verlust an Ansehen und Vertrauen zu verzeichnen hatte. Dies ist auch auf unverständliche Arbeitsstrukturen und Verfahrensweisen des Amtes bei den Außenbeziehungen zurückzuführen.

Haushaltsgelder des Amtes (weit über eine Million DM) flossen in Maßnahmen zum Schutze eines einzelnen geheimen Mitarbeiters und seines Kontaktmannes im Amt (neue Idenität, Aufbau einer neuen Existenz), ohne daß nachvollziehbare Begründungen vorliegen und Alternativen hinreichend geprüft wurden.

Alternative Liste und taz wurden auch dann noch ausgeforscht, als hierfür keine Berechtigung mehr bestand. V -Leute, die ehemals in K-Gruppen berechtigterweise tätig waren und Nachrichten übermittelten, wurden auch dann, und zwar ohne Befugnis sowie gegen den erklärten Willen des seinerzeitigen Senators Ulrich jahrelang weitergeführt, nachdem sich die Szene grundlegend verändert hatte.

Erstaunlich ist die mangelnde Sensibilität des Amtes bei der Werbung und Beschaffung eines Journalisten als V-Mann, mit dem man sich auch dann noch traf, nachdem der seinerzeit amtierende Innensenator Prof.Dr.Kewenig fälschlicherweise erklärt hatte, das Amt beschäftige keine Journalisten als geheime Mitarbeiter. Der Mann wurde in Diensträumen der Polizei geworben und auch dann noch angesprochen, als er bereits im öffentichen Dienst beschäftigt war.

Mit besonderer Aufmerksamkeit müssen zukünftig die Formen der Zusammenarbeit des Amtes mit der Polizeibehörde und der Staatsanwaltschaft beobachtet werden.

Im „Mordfall Schmücker“ ist deutlich geworden, daß eine Manipulation der Staatsanwaltschaft durch den Verfassungsschutz zumindest nicht auszuschließen ist. Im Fall „Aufgaben von verdeckten Ermittlern“ mußte der weitgehend konzeptionslose Einsatz von ehemaligen Mitarbeitern der Polizeibehörde festgestellt werden.

Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz dürfte im Kreise der Verfassungsschutzämter in der Bundesrepublik Deutschland das einzige Amt sein, das heute noch ohne präzise materielle Regelungen z.B. zur Beschaffung, Speicherung, Verwertung und Löschung von Informationen arbeitet. Der frühere Amtsleiter Natusch vertrat in diesem Zusammenhang zwei bedeutsame, die Arbeit des Amtes prägende Auffassungen:

1. war er der Ansicht, daß das Amt Informationen extensiv sammeln und aufbewahren sollte;

2. sah er in Vorschriften eine Einengung der Arbeit des Verfassungsschutzes und zugleich die Möglichkeit für Vorgesetzte, sich auf Kosten der Mitarbeiter bei Fehlleistungen zu exkulpieren.

In Übereinstimmung mit dem damaligen Innensenator Ulrich wurden daher Vorschriften, die von einer Bund/Ländergruppe erarbeitet worden sind, in Berlin nicht übernommen.

Es ist bezeichnend, daß im Amt nur eine einzige Vorschriftensammlung der Vorschriften des Bundesamtes für Verfassungsschutz existierte, die ein leitender Mitarbeiter des Amtes unzulässigerweise vor Monaten mit nach Hause nahm und erst nach längeren Nachforschungen jetzt wiedergefunden hat.

Lediglich beispielhaft wird auf folgende Mängel verwiesen:

Beobachtungsfälle und Aktenvorgänge werden ohne eingehende

Begründung (z.B. in einem Eingangsvermerk) bearbeitet.

Viele Personendaten sind in sog. Sachakten abgelegt, ohne

daß zu den Akten ein Personennachweisverzeichnis geführt wird.

Personenakten werden nach subjektiven Zweckmäßigkeits- und

Arbeitsbelastungsgesichtspunkten vom Sachbearbeiter angelegt.

Zugriffe auf Datenbestände werden nicht immer

protokolliert; auf diese Weise können Informationen unkontrolliert nach außen gelangen.

Im Nachrichtendienst gilt das Prinzip „Kenntnis nur, wenn nötig“.

Dieses unter dem Aspekt strikter Geheimhaltung zwar verständliche, dennoch aber in vielen Fällen aus der Sicht der Projektgruppe falsch gehandhabte Prinzip hat im Landesamt für Verfassungsschutz dazu geführt, daß die wichtige vertikale und horizontale Arbeitskommunikation zum Erliegen gekommen ist.

Einige Beispiel sollen das verdeutlichen:

Der Amtsleiter empfand sich als wichtigste Kontaktperson zur politischen Spitze. Er hat dort gewonnene Erkenntnisse nicht immer hinreichend umgesetzt, was der „Fall Telschow“ exemplarisch deutlich macht, was aber auch von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Amtes kritisiert wurde. Es war z.B. nicht bekannt, welche Entwicklung Vorgänge genommen hatten; Nachfragen blieben unbeantwortet.

Aber auch in vielen anderen Arbeitsbereichen sind Phänomene mangelnder Kommunikation deutlich geworden:

Auf eine neue, relativ unbedeutende politische Gruppierung in Kreuzberg wurden mehrere geheime Mitarbeiter angesetzt, weil die für die V-Mann-Führung verantwortlichen Mitarbeiter im Landesamt für Verfassungsschutz von der gegenseitigen Arbeitslage keine Kenntnis hatten.

Wichtige grundlegende Entscheidungen des Amtes, z.B. die Frage, wie die Alternative Liste zu behandeln sei, nachdem das Amt sich widersprechende Erkenntnisse gewonnen hatte (verfassungsfeindlich/nicht verfassungsfeindlich), wurden nicht umgesetzt.

Diese Vorgänge mußten zwangsläufig zu einem heftigen Verdruß und zu einer völligen Verunsicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen, die oft mit schlechtem Gewissen ihre Arbeit erledigten, „weil es schon immer so war“.

Aktivitäten, z.B. Vorschriften zu entwickeln und neue Arbeitswege zu beschreiten, wurden ohne Begründung verhindert. Ehemaliger Amtsleiter Natusch: „Ich will das nicht!“

Bemerkenswert, wenn auch keineswegs verwunderlich ist, daß wegen der mangelnden Kommunikation innerhalb des Amtes und der fehlenden formalen Arbeitsstrukturen eine riesige informelle Informations- und Spekulationsbörse existierte, an der sich fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligten.

In den letzten Jahren haben sich Zeichen von gegenseitigen Verdächtigungen und Bespitzelungen zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergeben, und innerhalb des Amtes sind zunehmend Freund-Feind-Verhältnisse aufgebaut worden.

Der frühere Leiter der Personalabteilung hat beispielsweise mit der Begründung nachrichtendienstlicher Personenkontrolle heimlich vertrauliche Beihilfeunterlagen zu den internen Personalvorgängen genommen und damit ein beklagenswertes Beispiel schlechter Personalführung gegeben.

Im fachlichen Bereich hat es kritikwürdige handwerkliche Mängel gegeben, wie der Bericht zum „Mordfall Schmücker“ eindrucksvoll belegt. Der „Fall Telschow“ ist dem Amt nach eigenen Einlassungen der beteiligten Mitarbeiter schlechthin über den Kopf gewachsen.

Das Haushaltsgebaren des Amtes richtet sich zum Teil nur formal nach den üblichen für Behörden geltenden Regeln. Zum Beispiel befindet das Referat für Informationsbeschaffung weitgehend eigenständig über seine Ausgaben. Eine Kontrolle durch den zentralen Haushaltsbereich wurde abgeschafft. Es wurde schon erwähnt, daß zur Schaffung einer neuen Identität für einen ehemaligen geheimen Mitarbeiter allein 1986/87 2/3 der Summe ausgegeben wurden, die jährlich für die Informationsbeschaffung insgesamt dem Amt zur Verfügung steht.

Die Stellenstruktur des Landesamtes für Verfassungsschutz zeichnet sich dadurch aus, daß die Obergrenzenregelung des §26 BBesG, die für fast alle nachgeordneten Behörden im Land Berlin gilt, im Bereich der Spitzenämter der Besoldungsgruppe A9S um nahezu plus 700 Prozent, bei Besoldungsgruppe A12 um plus 50 Prozent, bei Besoldungsgruppe A13S um plus 300 Prozent und bei Besoldungsgruppe A16/B2 um fast plus 100 Prozent überschritten ist.