Standbild: Magische Flashbacks

■ Haus der Erinnerungen. Ein Film von Fina Torres

(Haus der Erinnerungen (Oriana). Ein Film von Fina Torres, Mi., 26.7., 23.15 Uhr, ZDF) Die Struktur der Geschichte ist nicht neu: Die junge, elegante Marie, in Frankreich verheiratet, kehrt mit ihrem Mann an einen Ort ihrer Kindheit (Venezuela) zurück, um dort den Verkauf des von einer Tante geerbten Hauses zu arrangieren. Natürlich hat ihr nicht spanisch sprechender Trottel von einem Ehemann nur den materiellen Wert der Einrichtung im Sinn (ein später Kolonialist?), wohingegen Marie das Haus nur betreten muß, um von Erinnerungen regelrecht überfallen zu werden und die Umgebung wieder als pubertäre Marie wahrzunehmen. Eine klassische Flashback-Dramaturgie. Dafür kann Fina Torres 1985 in Cannes nicht die Goldene Kamera für den besten Debutfilm erhalten haben. Auch nicht für ihre malerischen Kameraschwenks, die häufig auf einer anderen Zeitebene enden und zum festen Repertoire des realismo magico gehören.

Nein, künstlerisch und inhaltlich faszinierend wird es erst, wenn Fina Torres ihr Spiel mit vier Zeitebenen beginnt und dadurch, wie nebenbei, eine entsetzlich Tragödie enthüllt: die Kindheit der Tante Oriana auf der patriarchalisch regierten Hazienda, ihre jugendliche Liebe zu dem unehelichen Sohn des Vaters, Sergio. Als dieser des Hauses verwiesen werden soll, überredet sie ihn, mit ihr zu schlafen. Prompt werden sie vom Vater gefunden, welcher Sergio erschlägt. Die Hausangestellte Fidelia vergiftet daraufhin den Vater (war Sergio ihr Sohn?) und führt seitdem mit Oriana ein zurückgezogenes Leben. Ob Marie dies während eines Aufenthaltes im Haus ihrer Tante durch ihr fieberhaftes Herumschnüffeln nun erfuhr oder nicht, bleibt unklar, denn die immer tiefer in die Ereignisse dringenden Zeitsprünge entsprechen zwar einerseits Maries Entdeckungen, andererseits aber den ihr verborgenen Erinnerungen der Tante. Als verheiratete Frau aber entdeckt sie, daß das Kind dieser Liebe zwischen Sergio und Oriana die ganzen Jahre versteckt im Haus gelebt hatte.

Das Dunkel des Hauses, die Unübersichtlichkeit der Hazienda, melancholische Melodien auf dem Klavier, die nächtlichen Expeditionen der Marie. Fidelia, die gewissenhaft in mehreren Schälchen Rattengift zubereitet, das Rauschen des Meeres, Muscheln, die wie absichtlich am Strand liegen... Bei aller Dramatik bleibt Fina Torres‘ Geschichte eine Skizze, Stimmungsbilder werden gerade so oft variiert, bis sie der Zuschauer zu deuten versteht, während die Protagonistin noch im Dunkeln tappt und die Wahrnehmung des Zuschauers wieder in Frage gestellt wird.

Ein raffiniertes Spiel mit der Wahrheit von Erinnerungen, mit romantischen Phantasien, die von der Wirklichkeit immer noch übertroffen werden können.

Petra Kohse