Stimmenroulette in Bolivien

Am Sonntag heißt es in La Paz „rien ne vas plus“ / Dann wird im Kongreß der künftige Staatspräsident gewählt / Aussichtsreichster Kandidat ist der Sozialdemokrat Jaime Paz Zamorra  ■  Aus La Paz Gaby Weber

Der Parteichef der sozialdemokratischen „Bewegung der revolutionären Linken“ (MIR) in Bolivien gab überraschend bekannt, daß er mit den Leihstimmen der allnationalistischen demokratischen Allianz (ADN) des frühen Diktators Hugo Banzer zum neuen Präsidenten gewählt werden wird. Jaime Paz Zamorra wird Staatschef, und sein Vize heißt wahrscheinlich Luis Ossion von den Christdemokraten, der zweite Mann in Banzers Wahlplattform. Von den 17 Ministerien sollen zehn von der Banzer-Partei besetzt werden, die auch das Abgeordnetenhaus kontrolliert.

„Banzer ist einer der größten zeitgenössischen Demokraten“, so hofierte MIR-Chef Zamorra den früheren Diktator, der in den siebziger Jahren den MIR blutig verfolgt hatte. MIR-Chef Zamorra selbst war Opfer eines Attentats geworden.

Die Lösung Paz/Ossio macht es der MIR-Basis leichter, mit der ADN zusammenzuarbeiten. Hätte Banzer auf seiner Präsidentschaft bestanden, wäre ein Kompromiß schwieriger gewesen. Das neue Gespann wird auch bei den bundesdeutschen Stiftungen auf Wohlwollen stoßen. Paz Zamorra wird von der Ebert-Stiftung gesponsert, sein künftiger Vize Ossio von der Konrad-Adenauer-Stiftung und Banzers ADN von der Hanns -Seidel-Stiftung.

Die endgültige Entscheidung über die neue Regierung wird morgen, Sonntag, fallen, wenn im bolivianischen Kongreß der neue Präsident gewählt wird. Da keine der Parteien bei den vergangenen Wahlen im Mai eine absolute Mehrheit erhalten hatte, war in den letzten Wochen hinter den Kulissen verhandelt worden. „Die verschiedenen Erklärungen, Angebote und Gegenangebote, die die Kandidaten mit Chancen auf die Präsidentschaft von sich geben, gleichen immer mehr einer öffentlichen Versteigerung, wo der Hammer, um noch mehr Vorteile herauszuschlagen, die Beteiligten auffordert, noch mehr Geld einzusetzen“, hieß es in einem Leitartikel der katholischen Tageszeigung 'Presencia‘.

Stärkste Partei ist die MNR, die „Nationalistische Revolutionäre Bewegung“ um Gonzalo Sanchez de Losado, mit 23 Prozent. „Goni“, wie er sich nennen läßt, ist offensichtlich der Mann der US-Botschaft - er ist in den USA aufgewachsen und erst mit 21 Jahren in das Heimatland seiner Eltern zurückgekehrt... Ein Populist ist er weiß Gott nicht, das bolivianische Essen vertrage er nicht und spanisch spricht der steinreiche Unternehmer nur mit Akzent. Aber so gehe es doch der Mehrzahl der Bolivianer, hatte Goni im Wahlkampf in den indianischen Gemeinden lachend verkündet.

Sanchez de Losado hatte den beiden anderen Parteien, dem MIR und der ADN, verlockende Angebote gemacht, mit Paz Zamorra hatte er eine Ko-Regierung bis ins Jahr 2001 angestrebt, 1989 sollte mit den Leihstimmen des MIR der MNR -Kandidat gewählt werden. 1993 sollte der MIR den Präsidenten stellen, 1997 wieder der MNR und 2001 der MIR. Doch Goni gilt nicht als vertrauenswürdiger Politiker, der sein Wort hält.

Bei den Wahlen im Jahr 1985 war der MNR-Politiker Victor Paz Estenssoro mit den MIR-Stimmen zum Staatschef erkoren worden. Aber statt mit den Sozialdemokraten einigte sich der MNR einige Monate später mit Banzers ADN.