Ladies: Get your guns!

Die Waffenindustrie in den USA stagniert - jetzt werden die Frauen als Zielgruppe entdeckt / Gegen Vergewaltiger und Angreifer sollen sich Frauen mit speziellen „Lady„-Revolvern zur Wehr setzen / Frauenverbände protestieren gegen das „schamlose“ Geschäft  ■  Aus Minneapolis M. Bäuerlein

„Sollten Sie einen Vergewaltiger erschießen, bevor er Ihnen die Kehle durchschneidet?“ fragt kreischend die Anzeige in der 'New York Times‘ und einem Dutzend anderer amerikanischer Zeitungen. Die National Riffle Association beantwortet die Frage mit Ja - und deshalb sollte frau jederzeit eine Knarre in der Handtasche haben.

Die amerikanische Handwaffenindustrie hat eine neue Zielgruppe entdeckt: Frauen. Vor allem die Frauen - sechs von zehn nach einer neuen Umfrage -, die nachts Angst haben, allein auf die Straße zu gehen. Vergewaltigungen, so berichtete das FBI vergangene Woche, sind die am schnellsten zunehmende Verbrechensart in den USA - 87.000 wurden letztes Jahr gemeldet, und die Dunkelziffer schätzt die Polizei auf etwa doppelt so hoch.

Waffenhersteller und Lobbyisten - und eine wachsende Anzahl waffentragender Frauen - behaupten, es sei an der Zeit für Frauen, zur Schußwaffe zu greifen. Die Firma Smith & Wesson fand die Marktlücke als erste. Sie kreierte das Modell „Ladysmith“, einen 38er Revolver mit einem „für Frauenhände“ zugeschnittenen Griff. In einer großangelegten Anzeigenkampagne suchte die Firma, Frauenängste anzusprechen („Steht Ihnen eine unangenehme Überraschung bevor?“ steht unter dem Foto von einer eingeschlagenen Fensterscheibe) und bot Gratis-Auskunft über eine kostenlose Telefonleitung an. Bisher hat die Strategie noch nicht so ganz gezündet. Frauenzeitschriften wie 'Cosmopolitan‘ und 'Mademoiselle‘ lehnten die „Ladysmith„-Anzeige ab: 'Working Mother‘ schickte der Waffenfirma ihr Geld zurück, nachdem die Zeitschrift herausfand, für was da geworben wurde. „Wir fühlten uns betrogen“, sagte eine Sprecherin der Zeitschrift. „Wir dachten, es ginge um Alarmanlagen. Frauenorganisationen und Waffengegner finden die neue Taktik „schamlos“.

„Die Waffenindustrie hat ihren Markt gesättigt“, sagt Marjolijn Bijlefeld von der „National Coalition to Ban Handguns“, einer Dachorganisation von 34 Kirchen, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen. „Und jetzt kommen sie und nutzen die Ängste von Frauen aus, um ihre dreckige Ware zu verkaufen.“ Die Waffenindustrie veröffentlicht keine Umsatzstatistiken, doch die Produktionsziffern für Handfeuerwaffen sind in den vergangenen zehn Jahren durchgehend leicht gefallen.

Nach Ansicht des Dachverbands machen Feuerwaffen Frauen nicht sicherer, sondern vergrößern das Risiko einer Gewalttat. Wenn Frauen von einem Fremden überfallen werden, besteht das Risiko, daß der Täter erst recht gewalttätig wird, wenn er sich einem Revolver gegenübersieht. „In jeder gewalttätigen Situation dient eine Schußwaffe nur dazu, die Gewalt zu verstärken, nicht, sie zu mindern“, sagt Bijlefeld. Dazu kommt, daß über die Hälfte aller Überfälle von Bekannten, Partnern und Verwandten begangen werden, häufig in der eigenen Wohnung. In solchen Fällen, so Bijlefeld, ist es besonders gefährlich, eine Feuerwaffe im Haus zu haben. Und schließlich vergrößert sich die Unfallgefahr, wenn Waffen in Reichweite von Kindern kommen: Schon jetzt stribt in den USA laut FBI-Zahlen mindestens ein Kind pro Tag in einem Unfall mit Feuerwaffen.

Frauen, die Waffen tragen, finden trotzdem etwas Beruhigendes in dem Bewußtsein, schießen zu können. Eine der bekanntesten „Gun Ladies“, Paxteon Quigley, war in den sechziger Jahren in der Anti-Schußwaffenlobby aktiv, doch ihre Ansichten haben sich um 180 Grad gedreht. „Eines Tages kam ich nach Hause und meine Nachbarin war vergewaltigt worden. Zwei Tage später las ich in der Zeitung von einer Frau, die einen Angreifer mit einer Schußwaffe in Schach gehalten hatte, während sie die Polizei rief. Da wußte ich, daß ich wie die Frau in der Zeitung sein wollte, nicht wie meine Freundin.“

Quigley, Autorin des Buches Armed and Female, besitzt drei Schußwaffen, trägt sie aber nicht immer bei sich. „Am wichtigsten ist es mir, zu wissen, daß eine Waffe auf meinem Nachttisch griffbereit liegt“, erklärt sie. „Dann kann ich ruhig schlafen.“

Quigley ist eine von 22 Millionen Frauen in den USA, die Waffen besitzen, und schätzungsweise doppelt so viele haben Zugang zu einer. Allein in den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Waffenbesitzerinnen in den USA mindestens verdoppelt, möglicherweise sogar verdreifacht.

Das Recht, eine Schußwaffe zu besitzen, ist in der amerikanischen Verfassung festgeschrieben. In vielen Staaten müssen die Waffen nicht einmal angemeldet sein. Besonders im Süden und Südwesten gehört der Sechsschüsser am Gürtel nach wie vor ebenso zum rechten Mann wie der Pickup-Truck. Scheibenschießen, Jagd und Waffensammeln sind beliebte Hobbies vieler Amerikaner - und Frauen ziehen nach. Neben dem Selbstschutz sind Waffensport, Jagd und Sammeln die drei Hauptgründe, weshalb Frauen sich für Waffen interessieren. Das ergab eine Umfrage der Zeitschrift 'Guns and Women‘. Sunny Jones, Herausgeberin des Fachmagazins, sieht den Trend zum Schießeisen als ein Anzeichen von Emanzipation. „Frauen haben immer schon Waffen getragen“, sagt sie und verweist auf die Pionierladies des Westens. „Jetzt ist es endlich akzeptabel geworden, auch in aller Offenheit darüber zu reden.“ Mit ihrer sieben Monate alten Zeitschrift will Jones dem Bedarf nach einer „speziell weiblichen Perspektive“ im Waffenhobby Rechnung tragen. Einige Schlagzeilen in der Juliausgabe: „Die Illusion von Sicherheit„; „Selbstschutz und das Gesetz„; „Frau erschießt Angreifer, um sich und Schwester zu retten“. Im Anzeigenteil werben Hersteller für Spezialhandtaschen mit eingebautem Waffenversteck (in blau, grün, schwarz und braun) und Hüfthalfter zum Joggen mit Schießeisen.

Genau da hört für Marjilijn Bijlefeld alles auf. Sie erinnert sich gut an die Publicity-Offensive der Waffenlobby vor zwei Monaten, als im Central Park eine Joggerin nachts halbtot und vergewaltigt vorgefunden wurde. „Das Problem ist doch nicht, daß die keine Waffe dabeihatte. Das Problem ist, daß man im Central Park - und überall in unseren Städten nicht nachts alleine rumlaufen kann.“