Im Reich der Farbenblinden

■ Wie die grelle Blindheit der TV-Macher das Sehen erschlägt

„Neue Aufgaben und Probleme bedeutet auch der Schnitt der Farben. Hier handelt es sich nicht nur um die Harmonie einander folgender Farben, sondern auch darum, daß das farblose Bild homogener war. Die Ähnlichkeit und der Gegensatz der Farben werden beim Schnitt eine größere Rolle spielen, und zwar nicht nur aus formalen Gründen. Farben haben nämlich eine außerordentlich große symbolische, assoziierende und Empfindungen erweckende Kraft.“

Das, was hier als Mahnung an die Filmgestalter gedacht war, geäußert von dem ungarischen Filmkritiker Bela Balazs in den dreißiger Jahren, nachdem er die ersten Farbfilme gesehen hatte, gilt uneingeschränkt auch für das Fernsehen, obwohl davon damals noch nicht die Rede war. Doch ein Gang durch die Hallen der Funkausstellung, vorbei an den Live -Schauplätzen der Sendeanstalten, mit Blick auf die unzähligen Fernsehmonitore hat mir endgültig Gewißheit darüber verschafft, was ich beim Streifzug durchs tägliche Fernsehprogramm schon lange ahnte: Alle klugen Theorien sind vergebens - Fernsehmacher sind farbenblind!

Wie sonst wäre zu erklären, daß Frau Schreinemakers sich im quietschgelben Kleid auf kribbelig bunten Sofapolstern räkelt, ihr Moderatorenkollege Göpfert im wildgemusterten Freizeithemd daneben (gesehen im ARD-Mittagsmagazin in Halle 5), daß Jürgen von der Lippe vor der Kamera giftgrüne Pullis trägt, und Frau Harreis im knallroten Overall die Bühne des Sommergartens unterm Funkturm betritt, umringt von sechs niedlichen Kindern in gelb- und pinkfarbenem Dreß. Wer sonst außer einem Farbenblinden könnte den Damen bei Sat 1 ungestraft orange-gelb-violette Kostüme verpassen? Der ganze Show-Rummel spielt sich vor so schrillbunter Kulisse ab, multipliziert durch Multi-Screens oder Jumbotrom-Wände, daß ich nur noch wegsehen möchte.

Eins sei dabei an dieser Stelle vermerkt: Es geht diesmal nicht um Inhalte, obgleich inhaltliche Leere in vielen Fällen mit farblicher Geschmacklosigkeit korrespondiert, sondern ich spreche erst einmal nur von optischen Eindrücken. Die „große Empfindungen weckende Kraft“ der Farben läßt mich beim Daueranblick buntschillernder Jackets, kitschig-greller Dekors und blinkender Leuchttafeln Augenschmerzen und Übelkeit kriegen. Wer hat den Regisseuren, Aufnahmeleitern, Bühnenbildnern und Gewandmeisterinnen bloß eingetrichtert, daß im Fernsehen alles immer schön bunt zu sein hat? Seit der Einführung des Farb-TVs ist es auf unseren Bildschirmen immer greller geworden. Alte Filme aus den sechziger Jahren bestechen da, verglichen mit neueren Produktionen, noch geradezu durch ihren bescheidenen Farbeinsatz. Heute aber bekommen wir dank hochauflösendem Fernsehen die Beweise für den schlechten (Farb-)Geschmack auf riesigen Bildschirmen in unerträglicher Deutlichkeit vorgeführt.

Für mich war danach die ARD-Eröffnungssendung Freitag abend, was die Farbkontraste anging, ein echter Genuß. Die hatte ich mir nämlich, nachdem ich die Proben live und bunt im ICC verfolgt hatte, zu Hause im Fernsehen angeschaut - in schwarzweiß! So konnte mir Desiree Nosbusch in ihren unsäglichen Shorts unter strahlender Triumphbogen-Kulisse, zumindest farblich gesehen, nicht mehr weh tun.

An weitere programmliche Höhepunkte des Abends kann ich mich nicht mehr erinnern, denn irgendwie kam mir Herr Gürtler, mein alter Filmdozent, in den Sinn. Er war der festen Überzeugung, daß für Video bzw. Fernsehen eine ähnlich exakte Formsprache entwickelt werden müsse, wie sie seinerzeit von Balazs, Eisenstein und anderen für den Film formuliert worden war, wobei es ihm, dem ehemaligen Bauhausschüler, immer besonders auf die Farbenlehre ankam. So sehr ich ihn früher auch belächelt habe wegen seines stengen Formalismus, heute gebe ich im tausendfach recht. Alle TV-Blindfische sollten erst mal bei ihm in die Lehre gehen, bevor sie die Zuschauer im Farbenmeer ertränken.

Ute Thon