Hüben und drüben-betr.: "'Heim ins Reich' - oder was?", taz vom 29.8.89

betr.: “'Heim ins Reich‘ - oder was?“, taz vom 29.8.89

Wenn Willi Brüggen von Polemik spricht, die den sogenannten deutschlandpolitischen Vorschlägen der AL entgegenschlägt, hat er zum Teil sicher recht. Brüggen würden die Gründe auch klarer werden, wenn er sich der moralischen Integrität der Fragen, die er rhetorisch immer wieder stellt, nicht so sicher wäre. Es hat eben doch etwas mit politischem Zynismus zu tun, wenn sich die AL den Kopf einer allein auf Machterhalt fixierten Altherrenclique zerbricht und Brüggen stellvertretend den Herrn ZK-Chefideologen sprechen läßt. Dieser verhilft gleich zu einer Reihe von Erkenntnissen, etwa der Einsicht, Gorbis Perestroika bedarf eines westlichen Vorpostens. Daneben fragt Brüggen nach dem Preis für eine DDR-Perestroika mit der bangen Furcht, Demokratisierung auf sozialistischer Basis könnte unmöglich sein: Selbstauflösung der DDR wegen fortgesetzter Unfähigkeit.

Was Brüggen entwirft, ist nicht viel mehr als das eigene Weltbild. Es geht nicht nur um die Frage, ob die regierenden Ost-Opas abgewirtschaftet haben, sondern auch um die Konsequenzen. Diese können nicht darin bestehen, ihnen einen neuen Job als Gorbis Türsteher zu besorgen (der sich im übrigen Erichs verkrustetem Pendant in der Sowjetführung gerade entledigt hat) oder Gorbis eigentliche Verbündete, eben die Bürger der DDR, mit der Ostführung samt Erich H. und Chefideologen in die gleiche landesweite Zelle zu sperren. Wenn der eine oder andere meint, er müßte mit den Füßen abstimmen, sollte Brüggen dem als Bürger eines kapitalistischen, bislang aber doch wohl demokratischeren Deutschland Beifall zollen. Brüggen aber ist dies nicht möglich; er wird getrieben vom Trauma „antikommunistisch -großdeutscher Träumerei“ und angeblichen linken Banalitäten wie der Unvereinbarkeit von Wiedervereinigung und Entspannung.

Die Grenze, die DDR und BRD trennt, ist ein sichtbares Zeichen der Folgen des Nazi-Schweinesystems, daß gute Chancen hat, wenigstens in seinen Wirkungen die projektierten 1.000 Jahre zu erreichen. Die Aufgabe aller Deutschen muß es sein, Nazi-Herrschaft künftig unmöglich zu machen, hier wie anderswo. Der - natürlich - unbedingten Ablehnung eines „Heim ins Reich“ darf aber auch keine Bevormundung anderer Art entgegengesetzt werden. Könnten Ost und West über eine Wiedervereinigung in demokratischen Wahlen entscheiden, würden sich die meisten, dessen bin ich sicher, eh dagegen entscheiden.

Wie dem auch sei: Meinungen wie die eines Martin Walser oder die einer Freya Klier, werden dem Gros der deutschen Linken (West) auch weiter im Wesen fremd bleiben, solange jedenfalls, wie diese Basisdemokraten in Ost-Berlin Greise finden, mit denen sie über die Menschen (deutsch, ost) reden können. Ich hoffe, daß sich das Problem auf die eine oder andere Art bald von selbst löst.

Norbert Hahn, Bonn 1