Die vergessene Geschichte des Völkermords in Kambodscha

US-amerikanisches Engagement verlängert das Martyrium der kambodschaner  ■ D O K U M E N T A T I O N

Die Qualen Kambodschas haben verschiedene Stadien durchschritten, seit die USA 1969 ihre extensiven Bombardements aufnahmen, den Staatsstreich unterstützten, der ein Jahr später Sihanouk stürzte und schließlich zur offenen Invasion Kambodschas übergingen.

1975 legten die Bombardements und der von den USA geschürte Bürgerkrieg das Land in Schutt und Asche. Unter Wissenschaftlern herrscht eine breite Übereinstimmung darüber, daß der nachfolgende Terror der Roten Khmer „mit Sicherheit eine Reaktion auf die US-Bombardierung der von den Kommunisten kontrollierten Zonen war“ (Milton Osborne); daß die Bombardierungen der Kommunistische Partei Kampucheas, den Roten Khmer, „die psychischen Ingredienzien einer gewaltsamen, rachsüchtigen und unerbittlichen sozialen Revolution“ aufzwangen, einen „Klassenkrieg zwischen dem 'Basisvolk‘, das den Bombardements ausgesetzt gewesen war und jenen 'neuen Leuten‘, die sich vor den Bomben geflüchtet und damit in den Augen der Roten Khmer auf die Seite der Amerikaner übergelaufen waren“ (David Chandler); daß „die kambodschanischen Kommunisten dadurch viele Bauern gewinnen konnten, daß sie ihnen die Zerstörungen durch die US -Bombardements vor Augen führten“ und daß sie sie davon überzeugen konnten, „daß Pnom Penh wegen seines Angriffs auf das bäuerliche Kambodscha zahlen muß“ (Ben Kiernan); und daß „jenseits allen Zweifels“ die Bombardierung dichtbesiedelter Gebiete des zentralen Kambodscha zu der Gewaltsamkeit der Roten Khmer gegenüber der städtischen Bevölkerung beitrug, die nach dem April 1975 unter ihre Herrschaft geriet“ (Michael Vickery). Der CIA schätzt den Blutzoll jener Jahre auf 600.000 Menschen.

Vom April 1975 bis 1978 setzten die Roten Khmer ihre eigene Horrorgeschichte fort. 1978 wurde zum schlimmsten Jahr, als im Zusammenhang mit den sich verschärfenden Feindseligkeiten mit Vietnam, die ihrerseits das Resultat wilder Attacken der Roten Khmer über die Grenze gewesen waren, schreckliche Massaker verübt wurden. Die Schätzungen der Opfer reichen von Hunderttausenden bis zu einer Million und mehr. Über die Barbarei der Roten Khmer ist ausführlich berichtet worden. Abscheu und Verurteilung trafen Verbrechen, die mit denen Stalins und Hitlers verglichen wurden.

Eine finnische Untersuchungskomission überschrieb ihre Studie „Kampuchea, das Jahrzehnt des Völkermords“. Richtigerweise bezieht sie sich auf beide Phasen der Schlächterei. Aber die erste Phase des Völkermords ist weitgehend aus der Geschichte verschwunden.

Im Dezember 1978 beseitigte Vietnam das Pol-Pot-Regime und setzte seinen Grausamkeiten ein Ende. Seither sind Vietnam und Kambodscha einem westlichen Embargo unterworfen und isoliert worden. Die USA haben das Demokratische Kampuchea, eine Koalition, die auf den Streitkräften der Roten Khmer basiert und Sihanouk zum nominellen Staatsoberhaupt hat, unterstützt. Die Roten Khmer wurden von den Verbündeten der USA, von China und Vietnam zu einer starken Streitmacht gepäppelt. Deng Xiaoping, der Favorit Washingtons, hat die Logik dieses Vorgehens erklärt: „Unterstützung für die Roten Khmer wird Vietnam mehr und mehr leiden lassen“. Washington stimmt zu: Vietnam muß für seine Weigerung bestraft werden, sich den USA zu unterwerfen.

1969 kümmerten sich die westlichen Medien nicht um den Appell Sihanouks, die Bombardierung „friedlicher kambodschanischer Bauern“ bekannt zu machen. Die Bombardements blieben „geheim“. Man weiß, daß die Zerstörungen furchtbar waren, aber die Einzelheiten sind rar, weil der Westen Unwissenheit vorzog. Journalisten weigerten sich, selbst Flüchtlinge zu interviewen, die zu Hunderttausenden nach Pnom Penh strömten. Nachdem die Roten Khmers die „Killing Fields“ übernommen hatten, gab es eine scharfe Wende in der Berichterstattung. Vietnam, das den Grausamkeiten ein Ende setzte, wurde denunziert und zum Ziel harter, westlicher Vergeltung.

Es ist offensichtlich, daß die Antwort auf Grausamkeiten und Überfälle von deren Urheber bestimmt wird - moralische Erwägungen sind irrelevant.

Wenden wir uns Indonesien zu, um diese Schlußfolgerung weiter zu erhärten. Indonesien hat Osttimor, auf das es keinerlei Anspruch hatte, überfallen, kurz nachdem die Roten Khmer an die Macht kamen. Ein schreckliches Gemetzel folgte. Die Antwort der USA bestand darin, die Waffenlieferungen an Indonesien zu erhöhen und entscheidenden diplomatischen Beistand zu leisten. Auch Verbündete der USA beteiligten sich an dem Blutbad. Schließlich ist Indonesien ein geschätzter Partner, der vielfältige Ressourcen und Investitionsmöglichkeiten bietet. Kritische Reaktionen auf dieses von den USA unterstützte Masaker, selbst als ordentliche Berichterstattung, waren gleich Null. Vietnams Agression hat ein Massaker grössten Ausmasses beendet. Indonesien hat vergleichbare Grausamkeiten begangen. Die westliche Antwort lehrt uns alles, was wir wissen müssen.

Mit dem Abzug der vietnamesischen Truppen beginnt für Kambodscha eine vierte Leidens-Phase. Washington hat die alten Vorwände fallen gelassen und angekündigt, daß es das Embargo gegen Vietnam - angeblich die Strafe für den Sturz des Pol Pot-Regimes - aufrechterhalten wird und hält seine Alliierten und Freunde dazu an, „die diplomatischen und ökonomischen Verbindungen mit Vietnam zu minimieren.“ Kurz: die vorgebliche Bestürzung über die vietnamesische Agression war eine Täuschung, zu dem Zweck „Vietnam auszubluten.“ Nun erklärt Washington, daß es seine Sanktionen gegen Vietnam aufrechterhalten wird, bis in Kambodscha eine verifizierbare diplomatische Lösung zustandekommt. Gleichzeitig tut Washington seine entschiedenen Vorbehalte gegen eine solche internationale Verifikation kund. Unterdessen unterstützen die USA Sihanouks Widerstandskoalition und fordern eine „einsichtige Lösung“, die die Roten Khmer einschließt.

Richard Holbrook, führender Südasienbeauftragter der Carter -Administration, stellt fest, daß Sihanouk sich schlechterdings für die Roten Khmer stark macht, und seine Unterstützung durch die USA Kambodschas Agonie nur verlängern wird. Das mag auf eine Rückkehr der gefürchteten Mörder an die Macht hinauslaufen, deren Attacken mit dem Abzug der Vietnamesen zunehmen. „Die amerikanische Hilfe für den nicht-kommunistischen Widerstand kulminiert in US-Hilfe über Sihanouk für die Roten Khmer“. Es handelt sich um eine „Pro-Khmer Rouge-Politik“, unter dem Deckmäntelchen der Unterstützung für China und Sihanouk.

Ähnliche Standpunkte vertreten auch andere, darunter der führenden Mann des rechten Flügels In Tam, ehemaliger Premierminister der US-gestützten Regierung, die 1970 an die Macht geputscht hatte. „Die Welt versucht ... Kambodscha die Urheberschaft des Genozids anzuhängen“, sagt er, indem er Washington bittet, die gegenwärtige Regierung zu unterstützen und Sihanouk dazu zu bewegen, sich gegen die Roten Khmer zusammenzuschließen.

Was es Kambodscha auch kosten mag, Washington und seine Alliierten werden auch in Zukunft ihre Ziele verfolgen und daran je nach Bedarf ihre moralischen Prinzipien ausrichten.

Noam Chomsky, Sprachwissenschaftler in Cam

bridge, Massachusetts, US