Ein Ostberliner Stadtteil feiert das DDR-Jubiläum auf eigene Art

Kinder haben zweihundert Meter der Kollwitzstraße in Besitz genommen. Binnen kürzester Zeit leuchtet der Asphalt am Prenzlauer Berg rot, grün und blau. Die Augen angestrengt auf die Baumkronen des Kollwitzplatzes gerichtet, platscht der Uniformierte mitten durch den gelben Schriftzug „Autos sind doof“. Doch dann erblickt er ein ungesetzliches Treiben, das selbst der trägeste Vopo nicht dulden kann: vor Freude quietschend, spritzen einige Steppkes die Verkehrsschilder voll. Das geht zu weit. Umgehende Reinigung verlangt der Polizist.

Es blieb der einzige Zwischenfall während des Stadtteilfestes am Sonntag, bei dem etwa fünfhundert OstberlinerInnen sich nach dem Motto „Kultur ist, was mensch selber macht“ vergnügten. Theater, Pantomime, Kinderband, Knetgummi, Linolschnitte, eine Ausstellung, Knackwurst nichts fehlte im Programm. Fast nichts. Halb Ost-Berlin erstickt derzeit unter roten Wimpeln und Plakaten mit der Aufschrift „40 Jahre DDR“. Dagegen wirkt der Kollwitzplatz wie eine Enklave. Das ist um so erstaunlicher, als der offizielle Wohnbezirksausschuß (WBA) - ein kommunalpolitisches Quartierkomitee - das Fest organisierte.

Der Kulturkommission dieses Gremiums, das in den Wohnbezirken Ost-Berlins gewöhnlich aus Mangel an Interesse vor sich hin schnarcht, schlug der SED-Sekretär im Frühsommer vor: „Macht doch ein Fest zu vierzig Jahren DDR.“ Die Idee als solche stieß auf unerwartet viel Zustimmung. Denn im WBA 66 arbeiten seit geraumer Zeit Menschen mit, die „es mit diesen Strukturen versuchen wollen“, berichtet ein SED-Mitglied. Bei der Festvorbereitung indes kräuselten sich den Altaktivisten die Haare.

Spielmaterial

statt „Winkfahnen“

So wurden die 2.500 Mark Zuschuß vom Rat des Stadtbezirks nicht für schwarz-rot-goldene „Hißfahnen und Winktücher“ verballert, sondern für Spielmaterial und Transparentstoff. Musiker und Theaterleute hatten sich den Verzicht auf jede Art von Werbung für das DDR-Jubiläum ausbedungen. „Freunde warnten uns davor, auf die Plakate zu schreiben, daß der WBA das Fest macht“, so einer der Organisatoren, „dann würde niemand kommen.“ Mit wachsendem Unbehagen beobachteten die Linientreuen die Vorbereitungen. Als ein großes Transparent an einer Brandmauer für das „Stadtteilfest“ warb, riß dem Wahlkreisleiter die Geduld. Er ließ es nach 24 Stunden entfernen. Begründung: Mit dem Begriff „Stadtteil“ solle die „territoriale Gliederung West-Berlins eingeführt werden“. Dieses Argument rief am Kollwitzplatz schallendes Gelächter hervor - der Berliner Stadtplan kennt in Ost wie West nur Bezirke -, doch die Organisatoren des Festes fürchteten, ihre Partei wolle „in letzter Sekunde alles verbieten“.

Angezogen von kleinen Plakaten und Flüsterpropaganda drängen sich Kinderwagen schiebende Eltern, Kinder und Jugendliche am Nachmittag vor dem frisch renovierten WBA -Ladenlokal. Von Punktstrahlern erleuchtet, hängen drinnen Fotos der nahegelegenen Rykestraße. Deren Häuser sollten fast komplett abgerissen werden. Der Wahlkreisleiter und SED -Spitzenkandidat der Einheitsliste eröffnet Fest und Ausstellung. Sagt, was sonst niemand erwähnen würde. Wie schön es sei, „daß dieses Fest im Vorfeld des 40. Jahrestages der DDR stattfindet und die Bürger hier in diesem Saal ihre Anliegen fortan vortragen können“.

Das verkneifen sich die Leute. Statt dessen stehen sie schweigend vor den Fotos und Infotafeln. Erstmals erfahren die Anwohner aus der Rykestraße, daß die WBA-Baukommission sich seit knapp einem Jahr den offiziellen Abrißplänen widersetzt. Auch in dieses Gremium zogen neue Mitglieder ein. Architekten, Städte- und Grünplaner, mit und ohne Parteibuch.

Erfolgreich gegen Abriß

Nach langem Gezerre erfuhren sie, daß von staatlicher Seite der Zustand der Häuser keineswegs als baufällig eingestuft worden war. Es entstanden Alternativpläne. Schließlich brütete eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus staatlichem Baubüro und eigenen Planern der WBA-Baukommission. Deren Entwurf hing am Sonntag aus. Sichtbar stolz von Architekten präsentiert, für den Laien kaum nachvollziehbar. Dennoch rühmt eine Tafel die „neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Institutionen der Bauplanung und betroffenen Bürgern“. Leise zischt ein Betrachter: „Na, den Dialog mit den Betroffenen müssen wir erst noch üben.“ Das soll geschehen, wenn der „noch nicht verbindliche Entwurf“ im „staatlichen Baubüro für die Bevölkerung zur Diskussion gestellt wird“, vor seiner Verabschiedung im Magistrat.

Dann wird das Ladenlokal für andere Zwecke genutzt werden. Die Kulturkommission hat bereits ein Konzept für ein Kommunikationsprogramm entwickelt. Einer der Initiatoren: „Wir haben hier nichts unterwandert. Ich will Leben im Stadtteil.“ Gegen Vorwürfe von Freunden, durch Engagement in den bestehenden Strukturen „das marode System zu stützen“, wehrt sich das WBA-Mitglied mit den Worten: „Ich brauche ein bißchen Selbstverwirklichung, das ist lebenswichtig.“

Daß sich die Partei dem ungewohnten Treiben schlecht entziehen kann, demonstrierten am Sonntag abend der Wahlkreisleiter und die Bezirksrätin für Kultur. Etwas verloren im Publikum hören sie sich mittelalterliche Musik und die Gruppe „Gerüst“ an. Nach den Video-Aufnahmen vom Fest meint die Genossin, der Film solle im Rat des Stadtbezirks gezeigt werden.

Knud Rasmussen