HARUN FAROCKI

 ■  Einmal in Oberhausen

Einmal in Oberhausen, als ich dem Publikum im Kommunalen Kino vorgestellt werden sollte, bestand es aus einer Mutter mit ihrer Tochter und einem Bruder mit seiner Schwester. In Furcht mitansehen zu müssen, daß von diesen Zuschauern einer das Kino vorzeitig verließe - und da sie paarweise gekommen waren, drohten sie paarweise zu gehen - ging ich während der Vorstellung spazieren. Einmal in Köln war ich während einer Vorführung nicht spazieren gegangen, saß in der dem Kino angeschlossenen Kneipe, da sah ich durch das Fenster, daß drei Leute das Kino verließen - ich wandte mich ab, und und die drei nahmen nicht nur neben mir Platz, sie erkannten auch in mir den vorgestellten Regisseur und wollten mit mir diskutieren. Ich lehnte ab. Die Dinge werden entwertet, wenn man den Preis herabsetzt, und der Preis für eine Diskussion mit mir ist auf das Ertragen eines ganzen und nicht eines halben meiner Filme festgesetzt. In Hannover ging ich während der Vorstellung im Geschäftsviertel am Bahnhof herum und sah ein paar Schuhe, die mir gefielen. Ich rechnete aus, daß sie mehr kosteten, als für meinen Film an der Kasse gelöst worden war. Als ich zum Diskutieren zurückkam, war niemand mehr da: Der Projektor war kaputtgegangen und man hatte dem Publikum das Eintrittsgeld erstattet. Da kaufte ich die Schuhe.

In Oberhausen gaben mir die Mutter und die Tochter nach der Vorstellung die Hand, auch die Geschwister waren noch da, und ich nötigte die beiden zu einer Diskussion. Am Ende sagte der Bruder, der Film sei von keinem großen Belang für ihn, in sechs Monaten werde er ihn vergessen haben. Der Kinoleiter, seine Freundin und ich, wir gingen danach bei einem guten Italiener essen, in dem Sinne, in dem man von einem guten Buch spricht und sich damit zeigt. Gerade vom Oberhausener Publikum zum Nichts erklärt, mußte ich auf meinem Selbst bestehen! Noch einmal in Hannover, hatte ich erlebt, daß 200 Leute an mir vorbei in das Kino 1 mit der Rocky Horror Picture Show liefen und dann 150 in das Kino mit einem Film, den ich nach sechs Monaten vergessen hatte, und dann 120 ins Kino 3 mit Das Ende der Kindheit. Wie Mäuse im Labortest strebte jeder zu seinem Loch, nicht einer haute ins Falsche, was doch das Leben ausmachen soll! Mit dem Filmtitel von Kückelmann ist die Geschichte von Hannover datierbar, im Datieren sind die Leute, mit denen ich meine Filme diskutiere, ganz groß.

Stets glauben sie, über einen Gedanken und selbst mein Denken das Urteil sprechen zu können, indem sie dies einer Zeit zuordnen. Ich will mich dagegen mit der Behauptung wehren, daß das Publium 1978 noch gemischt war, 1978 in Heilbronn kamen Jusos, Oberschülerinnen, CSU-Professoren und die örtliche Anarchistengruppe mit der rotschwarzen Fahne zu meiner Vorstellung mit Diskussion. Seit 1980 ist das Publikum gemischt, die Programmzeitschriften haben dazu beigetragen, daß keiner in einen Film geht, der nicht zu seiner Frisur paßt. Zu meinen Filmen kommen keine Arbeiter und keine Atomphysiker. Es kommen Lehrer, die mir vorwerfen, daß meine Filme etwas lehren wollen. Ich antworte ihnen, daß heute die ganze Kultur aus dem Geist des Schuleschwänzens ist.

Der Filmemacher Harun Farocki produziert seit den sechziger Jahren. Er ist bekannt durch seine Essayfilme „Etwas wird sichtbar“, „Wie man sieht“, „Bilder der Welt und Inschrift des Krieges“. Er arbeitete auch fürs „Sandmännchen“ und die „Sesamstraße“.