Mordanschläge mit Armeewaffen

■ Enthüllungen über Waffenschmuggel der britischen Armee in Nordirland

Ken Livingstone, der dem linken Flügel angehörende britische Labour-Abgeordnete, hatte schon immer ein besonderes Interesse am Nordirland-Konflikt. Vor zwei Wochen noch haben ihm seine Gespräche mit dem Sinn-Fein-Präsidenten Gerry Adams auf dem Labour-Parteitag den Vorwurf eingebracht, ein „Apologet des politischen Mordes“ zu sein. Livingstone wurde nicht wieder in den Parteivorstand gewählt.

In seinem Buch Livingstone's Labour, das jetzt erschienen ist, nimmt die irische Frage breiten Raum ein. Das Buch hatte bereits einen Monat vor seiner Veröffentlichung für Aufregung gesorgt. Der Autor hatte damals schon angekündigt, daß sein Buch ein Interview mit Albert Baker, einem ehemaligen Mitglied eines protestantischen Todeskommandos in Nordirland, enthalten werde, in dem dieser detaillierte Angaben über die Verwicklung der nordirischen Polizei (RUC) in verschiedene Mordanschläge mache.

Baker selbst stammt aus Belfast. Er trat zunächst in die britische Armee ein, desertierte jedoch nach zwei Jahren und wurde Anfang der 70er Jahre Mitglied der protestantischen Ulster Defence Association (UDA). Die UDA ist noch immer eine legale Organisation, obwohl ihr zahlreiche Morde an Katholiken nachgewiesen wurden.

1974 wurde Baker wegen vierfachen Mordes zu einer Gefängnisstrafe von mindestens 25 Jahren verurteilt. Eines seiner Opfer - allesamt katholische „Zivilisten“ - hatte er zuvor bestialisch gefoltert. Kurz nach seiner Verurteilung trat Baker als Kronzeuge gegen andere UDA-Mitglieder auf und mußte seine Haftstrafe zur eigenen Sicherheit in einem Gefängnis in England antreten. Dort sitzt er heute noch, obwohl Baker behauptet hatte, daß die Polizei ihm versprochen habe, ihn nach zwei Jahren zunächst in ein nordirisches Gefängnis zu verlegen und schließlich freizulassen.

In dem Interview mit Livingstone erklärte Baker, daß Polizeibeamte die UDA mit Waffen für Mordanschläge versorgt haben. Die RUC habe die Waffen in vielen Fällen für die Todeskommandos an Armeekontrollen vorbeigeschmuggelt und UDA -Mitglieder über bevorstehende Hausdurchsuchungen informiert.

Außerdem seien der UDA komplette Polizeiakten „mutmaßlicher IRA-Terroristen“ ausgehändigt worden - diese Behauptung ist inzwischen durch die Ereignisse der letzten Wochen bestätigt worden: Protestantische Paramilitärs haben über 800 geheime Personalakten vorgelegt, die ihnen von Polizei und Armee zugespielt worden sind. Baker hat in dem Interview ferner erklärt, daß eines der UDA-Opfer vor den Augen einer RUC -Streife entführt und später ermordet worden sei.

Zwar sind die Anschuldigen gegen die RUC wegen ihrer Zusammenarbeit mit protestantischen Todesschwadronen nicht neu, doch Baker nennt zum ersten Mal die Namen der beteiligten Polizeibeamten. Darüber hinaus haben Agenten des britischen Geheimdienstes inzwischen bestätigt, daß es durchaus üblich war (und wohl immer noch ist), „katholische und protestantische Banden gegeneinander einzusetzen“, wie es schon in den 70er Jahren der britische Counter-Insurgency -Spezialist General Frank Kitson empfohlen hatte. Livingstone und Bakers Rechtsanwalt haben beantragt, daß Baker seine Aussagen unter Eid wiederholen soll. Baker sagte zu Livingstone, daß er damit rechne, „eines Morgens tot in der Zelle aufgefunden“ zu werden.

Nach Livingstones Überzeugung können die Aussagen von Albert Baker dazu beitragen, die britische Nordirland -Politik vollends unglaubwürdig zu machen.

Ralf Sotscheck

Ken Livingstone, Livingstone's Labour, Unwin Hyman, London, 1989, 256 Seiten, £ 12.95