Härtetraining - umsonst und draußen

■ Am Bunker im Humboldthain können Sportkletterer seit kurzem in die Betonwand einsteigen / Ab Schwierigkeitsgrad 6 geht's los

In Berlin ging es schon immer etwas militärischer zu - ob zu Zeiten Preußens Gloria, ob am „antifaschistischen Schutzwall“ oder bei den jährlichen Maivergnügungen in Kreuzberg. Letzte Nutznießer dieses waffenfreudigen Treibens sind nun die Berliner Kletterer - es hat ihnen die wohl (rein räumlich) größte künstliche Kletteranlage im deutschen Sprachraum beschert: ein Mordsstück Bunker im Wedding, unweit der Mauer.

Schon seit den sechziger Jahren wurde an diesem Weltkrieg -II-Relikt, das auch Nachkriegssprengungen widerstanden hatte, vereinzelt geklettert - durchweg schwierige Kletterei hauptsächlich an zahllosen Einschußlöchern, Betonkiseln, Setzungsrissen, herausragenden Eisenmatten und ähnlich herben Erosionserfolgen. Im Zuge allfälliger „Stadtverschönerung“ und Erschließung auch des letzten Winkels zwecks versicherungsfähiger Nutzung wurde der Bunker eingerüstet und saniert. Besucher werden ihn nun bald auf guten Wegen gefahrlos besteigen und durch die gewaltigen Stäbe eines Rundumzauns (Modell Wackersdorf) einen ordentlich vergitterten Blick auf die Stadt werfen können.

Der Berliner Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) und einigen engagierten Sportkletterern ist es gelungen, dem Bezirksamt die Teilnutzung des Monstrums als Kletteranlage abzuringen. An den senkrechten Wänden (Ecken, Kanten, Dächer - hier regiert streng der rechte Winkel), die teilweise einen neuen Verputz mit Spritzbeton erhielten, wurde das erste runde Dutzend neuer Routen in harter Arbeit eröffnet (Schlagen von Griffen und Tritten in Beton; Setzen von Bohrhaken und künstlichen Griffelementen; Versäubern der Wand). Kein Kletterweg nach oben beginnt unter dem schon erheblichen Schwierigkeitsgrad 6 auf der nach oben offenen Skala der Sportkletterathletik. Die zirka 1.100 Quadratmeter große, nutzbare Fläche bietet ein ideales Terrain, auch schwierigste Routen zu konstruieren, an denen es in Berlin bislang mangelte.

Manche Baulichkeiten stehen stets für eine Fortsetzungsgeschichte bereit. Der Bunker erfreute sich jahrzehntelang wechselnder Aufmerksamkeit, die immer auch für bunte Geschichten in Hochglanzblättern gut war. Mal waren es die Franzosen, die hier ihren militärischen Abenteuerspielplatz mit ausgeklügelten Stacheldrahthindernissen unterhielten, mal Amateurspeläologen, die dem Ruf aus dem verzweigten Untergrund folgten (dabei gelegentlich tödlich abstürzten), mal Neonazis, die in dem Labyrinth verzweigter Kammern, Säle und Flure der unterirdischen Geschosse den anheimelnden Platz für Versammlungen mit garantiertem Nervenkitzel fanden. Die neueste Geschichte verbindet zwanglos REP -Sprühdesign auf Beton mit einem neuen Ton vor den Einstiegen zu den Kletterrouten: Ja, das sind sächsische Laute, und sie stammen von jungen Kletterern, die eine der schönsten Kletterarenen der Welt, das Elbsandsteingebirge verlassen haben, um nun mit ehedem gesamtdeutschem Beton vorlieb nehmen zu müssen. Auch in diesem Fall wird sich erst noch zeigen, wie gelungen der Wechsel ausgefallen ist - doch das rechte Härtetraining wird das Bunkermilieu auch weiterhin bieten, umsonst und draußen.

Rolf Michael Richter