Vor Malta: Wer hat was in seiner Aktentasche?

Diskussionen im Vorfeld der Begegnung Bush-Gorbatschow  ■  Aus Malta Andreas Zumach

„Wenn Gorbatschow am 2. Dezember mit einer Aktentasche zu seiner ersten Begegnung mit US-Präsident Bush auf dem US -Zerstörer Belknap vor der Küste Maltas erscheint, herrscht höchste Alarmstufe“ - seit Wochen verbreiten die Kremlastrologen und Präsidentenberater in Washington dieses Szenario als ihre Hauptsorge. Die Erörterung oder gar Vereinbarung konkreter Abrüstungsschritte sei nicht Sinn des Gipfels, wird unablässig betont - zuletzt von Bush in seiner Fernsehansprache Ende letzter Woche. Doch inzwischen verdichten sich die Anzeichen, daß Bush selber neue Vorschläge als westliche Initiative in Malta präsentieren will. Zu den vorletzte Woche bekannt gewordenen Wanshingtoner Plänen für drastische Reduzierungen des Militärhaushalts kommen als jüngste Indizien Äußerungen von Pentagon-Chef Cheney in einem Interview mit der 'Los Angeles Times‘.

Quasi zur Einstimmung für das heute in Brüssel beginnende Routinetreffen mit seinen westeuropäischen Nato-Kollegen beschreibt Cheney, wie die USA ihre Verpflichtungen im Bündnis auch nach weitgehenden Reduzierungen ihrer in Westeuropa stationierten Bodentruppen und verstärkt gestützt auf Luft- und Seestreitkräfte erfüllen können. Bush hatte in seiner Fernsehansprache noch einmal versichert, daß derartige Reduzierungen „nicht ohne vorherige Konsultationen mit den Alliierten und nicht einseitig erfolgen“ würden. Doch was heißt „vorherig“? So erfuhr Nato-Generalsekretär Wörner von den Budgetkürzungsplänen des Pentagon auch erst zufällig aus der Zeitung - Minuten, bevor er in Wien auf einer Pressekonferenz auf diesbezügliche Fragen antworten mußte. Und von der „Initiative“ Bushs für den Einschluß von Truppen, Flugzeugen und Hubschraubern in den westlichen Vorschlag bei den Wiener Verhandlungen beim Nato-Gipfel Ende Mai wurde Bonn erst eine Woche zuvor unterrichtet, die anderen Bündnispartner noch später. Die fünf Tage bis zum Gipfelbeginn sind also noch ausreichend für Konsultationen.

Daß die USA zumindest zum jetzigen Zeitpunkt keine einseitigen Reduzierungnen planen, scheint sicher. Einseitige Schritte ob auf der eigenen oder gegnerischen Seite sind in Washington sehr verpönt - nicht zuletzt, weil sie angeblich nicht zu verifizieren sind. Deswegen ist mit einem Vorschlag für die Reduzierung eines größeren Kontingents der 305.000 US-Soldaten in Westeuropa im Rahmen eines ersten Wiener Abkommens zu rechnen. Die US Army ist wegen ihrer Personalintensität weiter teurer als die Luftwaffen und die Marine. Und auch von den 160 Milliarden Dollar ihres 300-Milliarden-Pentagonbudgets, die die USA im Haushaltsjahr für die Nato und die „Verteidigung Westeuropas“ ausgeben, machen die Personalkosten für die hier stationierten GIs einen wesentlichen Anteil aus.

Schon im Herbst 1988 erwog die damalige US-Administration eine Kürzung um 75.000 Mann, scheiterte damit jedoch sowohl am eigenen Stabschef wie an Bonn. Die Reduzierung von Bodentruppen in Europa ist heute anders als in früheren Jahren weitgehend Konsens in Washington und entspricht den Strategie- und Waffenplanungen der USA, in denen hochmoderne, flexible und weltweit einsetzbare Luft- und Seestreitkräfte immer größere Bedeutung bekommen.

Während die Absicht zur Bodenstationierung neuer Lance -Atomraketen in Westeuropa nach einem Wiener Abkommen daher möglicherweise nicht mehr durchsetzbar ist, ist die Stationierung neuer Flugzeuge mit modernen Abstandsraketen sowie die Ausrüstung von Schiffen und U-Booten mit Cruise Missiles sowohl in Westeuropa wie in Washington beinahe völlig unumstritten.

Es ist nicht auszuschließen, daß die Aktentasche Gorbatschows Vorschläge gerade zu diesen Bereichen enthalten wird. Ein detailliertes Angebot etwa zu Verhandlungen über Seestreitkräfte, ist vor allem wegen des Rüstungswettlaufs außerhalb Europas überfällig.