„Das wird jetzt schnell gehen“

Hostivar ist ein Industrieviertel im „wilden“ Osten Prags. Neben einstöckigen, grauen Häuschen dehnen sich große Fabrikanlagen aus, sechsspurige Straßen zerschneiden das flache Land, auf Wiesen und Äckern wuchsen seit den siebziger Jahren hohe Schornsteine. Auch an Sonnentagen läßt der verhangene Himmel einen Blick auf das Zentrum der Hauptstadt kaum zu. TOS Hostivar ist ein Werk für Rundschleifmaschinen. Ein Großteil der Produkte des Betriebes wird ins Ausland exportiert, auch nach Westeuropa.

Es ist Montag mittag. Punkt zwölf Uhr beginnen in ganz Hostivar die Sirenen zu heulen an: Etwa dreihundert der vierhundert Arbeiter von TOS versammeln sich an den Werkstoren. Was nun passieren soll, ist den meisten unklar; noch am Morgen hatten die Streikkomitees der Betriebe versucht, ihre Aktionen zu koordinieren. Dann plötzlich waren Flugblätter aufgetaucht, die die KP der Tschechoslowakei als Organisatorin der Streiks bezeichneten. Die Aufregung wuchs daraufhin. Für viele ist der heutige Generalstreik der erste in ihrem Leben. Die wenigen politisch Aktiven - sie hatten im Sommer bereits Unterschriften für das Manifest „Einige Sätze“ gesammelt hatten vor einer Woche noch geglaubt, daß es noch Jahre dauern könne, bis die mit Wochenendhäusern und Skodas zufriedengestellten tschechischen Arbeiter auf die Straße gehen würden.

Kurz nach zwölf Uhr ist die Entscheidung gefallen. Entschlossen wird ein Transparent entrollt: „TOS Hostivar unterstützt die streikenden Studenten.“ Ziel der Arbeiter ist der rund sieben Kilometer entfernte Wenzelsplatz. Aus den Betrieben des Auto-Service schließen sich 300 Arbeiter in Mechaniker-Anzügen an.

Am Straßenrand klatschen und winken alte Frauen und Männer. Von den Dächern ihrer Autos fangen die Fotografen die besten Motive ein; über zuwenig Arbeit konnten sie sich in den letzten Tagen nicht beklagen. In hohem Tempo eilen die Demonstranten auf einer Spur der Schnellstraße in die Innenstadt, Lastzüge donnern hupend vorbei, der Gesundheit ist diese Form des Streiks sicher nicht zuträglich.

Auch ohne Absprache scheinen die meisten Betriebe sich den Wenzelsplatz als Ziel ausgesucht zu haben. Zwei Kilometer trennen den Zug noch vom Zentrum, als dem einen Arbeiterzug ein anderer entgegenkommt. „Wo wollt Ihr denn hin?“ ist die spontane Parole. Noch marschieren die Proletarier, die „herrschende Klasse“, nicht in eine Richtung, doch die Stimmung ist gut. Stolz berichtet ein junger Arbeiter, daß sie bald eine unabhängige Gewerkschaft gründen werden. Die Hälfte der KP-Mitglieder des Betriebes streikt ebenfalls. „Das wird jetzt alles sehr schnell gehen.“

Katerina Wolf, Prag