Bremens Drogen - Zukunft

■ Tegeler stellte bedrückendes Drogen-Szenario für die nächsten Jahre vor

51 Drogentote im noch nicht abgelaufenen Jahr 1989 sprechen eine überdeutliche Sprache. Die Zahl der Opfer in Bremen ist gegenüber dem Vorjahr (36 Tote) deutlich angestiegen und nimmt - gemessen an der Gesamtbevölkerung und der Zahl der Drogenabhängigen - im Vergleich mit anderen Großstädten in der Bundesrepublik einen traurigen Spitzenplatz ein. Innerhalb kürzester Zeit sind so Städte, die eher zur Drogenprovinz zählten, zu Zentren geworden. Nach Ansicht von Volker Tegeler, Vorsitzender des Bremer Vereins Hilfe zur Selbsthilfe, ist der Höhepunkt dieser Entwicklung jedoch lange noch nicht erreicht. Für das kommende Jahr erwartet er eine Verschärfung der Situation und einen weiteren Anstieg der Opferzahlen. Tegeler, der vier Jahre lang als Sozialarbeiter im Bremer Ostertor arbeitete, skizzierte im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung der Hermann-Ehlers -Aka

demie die vielschichtigen Ursachen für diese Entwicklung und entwarf für die Zukunft ein bedrückendes Szenario.

Bremens Funktion als Drogenmetropole werde in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen. Als Oberzentrum einer ländlich geprägten Region ziehe es verstärkt Fixer aus kleinen Gemeinden und Städten an, die sich der sozialen Kontrolle an ihrem Heimatort entziehen wollen. Während 1985 nur jeder vierte Drogentote aus dem Umland stammte, war es 1989 fast jeder zweite. Die Todesursache vieler Fixer sei in der Regel nicht auf den alleinigen Gebrauch von Heroin zurückzuführen, vielmehr führe oft erst die Kombination mit Barbituraten und anderen Tabletten zum Exitus. Die Tatsache, daß derartige Präparate, die über Apotheken relativ frei zugänglich sind, den Drogentod beschleunigen, werde in den Medien jedoch meist unterschlagen, kritisierte

Tegeler.

Der Preisverfall von einst 500 Mark auf heute 100 bis 200 Mark pro Gramm Heroin, sowie ein erhöhter Reinheitsgrad von 15 auf heute 40 bis 70 Prozent des Stoffes, seien deutliche Indizien dafür, daß der Markt zur Zeit überschwemmt werde. „Mit seinem Hafen wird Bremen als Drogenumschlagplatz eine zentrale Funktion besitzen“, zeigte er sich überzeugt. Spektakuläre Drogenfunde wie unlängst in Bremerhaven seien nur die kleine Spitze des Eisberges und lieferten einen Vorgeschmack darauf, was im Zuge des Europäischen Binnenmarktes und wegfallender Zollgrenzen noch zu erwarten sei.

Die Zeit der offenen Drogenszene in Bremen neige sich dem Ende entgegen, die Sielwall-Kreuzung im Ostertor habe ihre Drehscheiben-Funktion schon heute zum Teil verloren. „An deren Stelle treten kleine Drogenszenen in Stadtteilen wie Vegesack

und Gröpelingen und ein starker Rückzug in den privaten Bereich“, glaubt Tegeler. Probleme wie Aids und der verschärfte Wohnungsmarkt, der viele Fixer zu Obdachlosen macht, seien weitere Faktoren des beschleunigten Verelendungsprozesses. Die Etablierung neuer, synthetischer Drogen, die leicht herzustellen seien und mit denen besonders jüngere Kunden angeworben würden, stellten ein weiteres Problem im kommenden Jahr dar.

Entgegen gängiger Meinung können sich Therapieeinrichtungen und Wohngruppen derzeit vor hilfesuchenden Fixern kaum retten. Die Wartezeit für einen Therapieplatz beträgt in Bremen zur Zeit einen Monat, im niedersächsischen Umland über drei Monate. Auch wer sich im Krankenhaus einer Entgiftung unterziehen wolle, werde vier Wochen lang vertröstet, da es in Bremen an Bettenplätzen fehle.

Martin Jahrfeld