Abwesend

■ In der methodistischen Erlöserkirche

„Unsere Gemeinden waren stets singende Gemeinden.“ Und: „In der Gemeinde soll der Gesang stets frisch und rhythmisch sein“, steht in ihrem Gesangbuch, das sie nicht mit der evangelischen Landeskirche teilen, der sie angehören. Die Methodisten - entstanden im 18. Jh. in England, pietismusnah, 20 Mill. Mitglieder zumeist in England und den USA, 65.000 in der BRD - haben außer dem besonderen Gesangbuch noch viele Besonderheiten. Neu entdecke ich, daß sie Frisch-Rhythmisches manchmal im Stehen singen, sich zu Gottes Wort aber hin setzen. Sie haben eine große backsteingemauerte Kirche mit Gemeindezentrum an der Schwachhauser Heerstraße. Feierlich aber heimelig. Holzverkleidetes Tonnengewölbe, dessen Halbrund in der backsteingemauerten Apsis wiederkehrt. Kleines Kruzifix, in der Apsis auf Augenfang ein buntes Glasfenster mit der Schrift.

Ich weiß nicht, was ich eigentlich schreiben will über diesen Gottesdienst. Die Kirche ist ganz schön, siehe oben, gsungen wurde mittelfrisch aber viel : Gemeinde, Kinderchor, ausgebildete Erwachsenenstimmen von der Empore, dann auch noch ein Flötenchor. Der Gemeindepfarrer Brose plaudert mikrophonverstärkt, fragend-entwickelnd mit den kindlichen Choristen über Wesen und Entstehen des Adventskranzes, von dem ein dick-prächtiges Exemplar in der Apsis hängt. Drei neue Gemeindemitglieder werden aufgenommen. Erst vorgestellt von einer Patin. „Endlich mal ein junger Mensch“, freut sich eine von ihnen, denn die Gemeinde ist hier alt und schwer weiblich wie in die meisten prostestantischen Gemeinden Westdeutschlands. Und irgendwann spricht Pastor Brose, locker und gar nicht altmodisch über Weihnachten und daß man es ein bißchen tiefer angehen solle und daß die Gemeinde auch voll für die Neuaufgenommenen da sei soll. Und dann ist längst die Zeit überschritten, die hintere Wand wird aufgezogen, wir sollen uns doch die Zeit nehmen und noch zum Tee bleiben. Die Gemeinde läuft ohnehin nicht davon, alles bleibt in Grüppchen stehen, eine Alte geht rum und schüttelt systematisch jeder die Hand. Alles persönlich, heimelig, familienfeierlich.

Warum bin ich nur so abwesend. Warum fällt mir auch jetzt nichts ein, warum hab ich mit all dem so wenig zu tun? Ich weiß es nicht, vermute aber, daß es an diesem Familiären liegt, das sich hier so harmlos-innig-sich-umeinander -kümmernd zeigt. Und von dem man, z.B. in den Briefen des Pietisten-Predigerkindes Hermann Hesse, nachlesen kann, wie es ihn innig-sich-umeinander-kümmernd und gnadenlos -normierend und allseits familiär kontrollierend zum Verrückten und zum Ausgestoßenen gemacht hat. Vielleicht ist es das.

Uta Stolle