ENDLOSSCHLAUFE WALD

■ Urban Art besetzt Kreuzberg

Die Begegnung zwischen einem Tier des Waldes und einem Autoreifen geht immer schlecht aus - für das Tier. Das Reifenprofil aber hat selbst etwas vom Panzer eines Krokodils und von animalischer Wehrhaftigkeit. In der „Continentalsau“, einer drohend aufgerichteten Statue von Urban Art, verbindet sich zerzaustes und störrisches Wildschweinfell mit dem Gummipanzer der den Wald vermüllenden Autoreifen. Organischer und synthetischer Stoff verbünden sich und werden zum Götzen, der für die Vernichtung der Natur und den Verschleiß der Rohstoffe Rache androht.

1985 gründeten Stephan Klimas und Marek Pisarsky die Selbsthilfe-Galerie „Urban Art“ in der Wiener Straße und reisten als malende und installierende Produktionsgemeinschaft nach Wien, Marokko, Amsterdam und Kassel. Seit einem Jahr gehört zu den urbanen Artisten auch Anne Peschken, die den Mut aufbrachte, Urban-Art-Produkte lauthals auf Marktständen feilzubieten. Die Gruppe, die ihre Aktionen zum größten Teil selbst finanziert und gelegentliche Gewinne der nach Kilopreisen verkauften Kunst in einer Siebdruckmaschine und einem LKW anlegte, erhielt 1989 erstmals vom Berliner Senat eine Katalogförderung. Die Urban Art Galerie ist zwar inzwischen als Ausstellungsort bekannt, die eigene Produktion der Gruppe aber durch die vielen eingeladenen Gäste in den Hintergrund gerückt. Deshalb nehmen sie die Katalogförderung zum Anlaß für einen Rückblick und nisten ihre Monster aus Federn, Fell, Gummi und Chrom in vier Kreuzberger Räumen ein: Bethanien, Laden für Nichts, Interglotz und Urban Art Galerie.

Im Katalog liegen zwei Seiten aus Tapeten, siebbedruckt. Über ein bourgeoises Dekor üppiger Blüten wächst von oben goldglänzender Schimmel. Gestalten sinken zwischen den Blumen herab, deren Gedärm bloßliegt, deren Hände zu riesigen Paddeln mutiert sind und deren Köpfe nur aus aufgerissenen Augen und Mäulern bestehen. Sie sind den Angstträumen und schrecklichen Visionen entstiegen, die die Bewohner der abgedämmten Schlafzimmer und gepolsterten Wohnzimmer plagen. Aber hinter die Tapete verbannt, gedeihen die Monster und feiern ein Fest.

Urban Art malt sich den Schrecken aus, nimmt sich der Katastrophen-Phantasien an. Müll-Zombies behaupten sich demonstrativ als Realität. Ihre Bühnenbilder des Untergangs und Szenarien einer synthetischen Welt sind ökologische Agitation und Alternative zugleich, Recycling des zerstörten Stoffes.

Als Skelett eines abgesoffenen Kahns treibt die „Arche Noah“ kieloben in einer Pfütze. Die Rippen des Schiffes, aus Öl-, Luft- und Benzinfiltern montiert, zeugen noch von der Hoffnung auf eine Rettung aus dem ökologischen Zusammenbruch; der Zustand des Schiffes aber läßt dies als Illusion erscheinen. Die Reste schwanken wie ungeheure Krakenarme. Es regnet von der Decke; schwarze Feuchtigkeit läßt nur die Entstehung schleimigen Lebens zu. In diese Urhöhle hinein treibt den Besucher eine Wand aus flimmernden Fernsehschirmen, die sich im Raum langsam vorwärts schieben: Dieser Akt wird „Die Vertreibung aus dem Paradies“ genannt.

„Das Schweigen im Walde“ (Laden für Nichts) - schon der Titel der Installation lügt. Es gibt keinen Wald, kein Schweigen. Es gibt etwas, das vorgibt, Wald zu sein. Aggressiv richten sich die chromglänzenden Äste der Bäume aus Stuhlbeinen, Stativen, Fahrradlenkern und Antennen gegen jeden Eindringling. Darinnen sitzen Vögel, aus Hifi-Schrott, Knochen und Federn, abgenagt von den Ratten. Diese wurmzerfressenen Geier mit den Stimmen vom Band, die dem Heulen des Windes im Antennenwald auf dem Dach gleichen, sind die letzten Nachkommen der chinesischen Nachtigall, die in Andersens Märchen edelsteinbesetzt mit mechanischer Stimme knarzte. In Super-8-Endlosschlaufen von Johannes Peschkens ziehen immer wieder die gleichen Bilder vom Wald, wie er einmal war, vorbei: Das ist ein endloses Auf-der -Stelle-treten, sinnlos und erschöpfend.

Die Monitore als Vertreiber aus dem Paradies, der Antennenwald mit Hifi-Vogelstimmen als Simulation der Natur: Medien und technisch gefilterte Wahrnehmung treten als Räuber der Unschuld auf. Bei Urban Art tritt die als Simulation gefaßte Realität konsequenterweise nur noch in Fragmenten in Erscheinung.

Auf ihrem pedantisch aufgeräumten „Der Friedhof der Dinge“ (Bethanien) wird der Wirklichkeit ein Grabmal gesetzt. In Asphaltschollen, Brocken aufgerissener Straßen Berlins, sind Geschichten deprimierender Realität hineingeritzt, erzählt als mögliche Begegnungen auf der Straße: der Selbstmörder, der sich in den Mund schießt, der Patexschnüffler, der Mann mit Hund, das Hochhaus, ein Fenstersturz. Die Schollen, die für 35 DM das Kilo verkauft werden, bilden, von verkohlten Hölzern, getragen in grün eingefaßten Beeten aus schwarzem Schotter eine Karikatur kleinbürgerlicher Trauerarbeit.

Im Interglotz wacht „Der große Agitator“. Ein Gebiß -verzierter Strommast wird zur Propaganda-Maschine. Beifallspendend umgeben ihn mit Gummi bandagierte und deformierte Torsi, die Gebisse weit aufgerissen. Aber die bloßgelegten Kauwerkzeuge, die immer auch ein wenig obszön, zu nahe schon den intimen Zonen der Verdauungsorgane wirken, befinden sich in einem Zustand des Todes, am eigenen Gebrüll verreckt. Dem Agitator zu lauschen führt zur Selbstverstümmelung.

Katrin Bettina Müller

Urban Art im Studio III des Bethanien, Laden für Nichts (Skalitzer Straße 94b), Interglotz (Oranienstraße 188) und Urban Art Galerie (Wiener Straße 12) bis 1. Januar 1990, täglich (außer montags) von 16 bis 19 Uhr.