Europas letzter Feudalherr vom Thron gestoßen

■ Rumäniens Staatschef Nicolae Ceausescu wurde nach mehreren Tagen des Protestes von seinem Volk gestürzt

Nach der Flucht des Conducators aus der Regierungsresidenz in Bukarest übernahm eine „Front für das Heil des Vaterlandes“ unter Leitung des ehemaligen Außenministers Corneliu Manescu die Macht. Verteidigungsminister Vasile Milea war am Morgen erschossen worden - zunächst war von Selbstmord die Rede -, nachdem er sich geweigert hatte, die Niederschlagung der Proteste zu übernehmen.

Ein Volk erwacht aus dem Alptraum und findet sich in einem Freudentaumel wieder. Der Schuft ist weg. Zuletzt hat die Menschlichkeit gesiegt, die Solidarität. Die Armee schießt doch nicht ewig auf das eigene Volk. Entschieden hat der Mut des Volkes.

Eine neue Führung ist da, sie steht vor einem Trümmerhaufen. Eine neue Führung in der Person des 73jährigen Corneliu Manescu, Außenminister im Rumänien der 60er Jahre und als solcher einer der Spitzenpolitiker der pragmatischen Zeit der rumänischen KP. Er ist einer der Architekten jener Politik, deren Früchte Ceausescu später für sich selber reklamierte und auf die er seinen Personenkult gründete. Ceausescu hat Corneliu Manescu wie andere führende Persönlichkeiten der rumänischen KP schon um die Wende zu den 70ern aus dem internen Kreis der Macht entfernt. Er hat alle kompetenten Leute entfernt und durch die korrupte Familienbande ersetzt.

Trotzdem gab es noch Opposition innerhalb der Partei. 1979 stand Constantin Pirvolescu, Gründungsmitglied der KP, auf dem 14. Parteitag auf und verlangte die Absetzung Ceausescus. Anschließend verschwand er, und die Securitate verbreitete das Gerücht, er sei ein Sowjetagent, und später, er sei tot. Zehn Jahre danach meldete er sich als Unterzeichner eines offenen Briefs, in dem der Diktator zur Umkehr aufgefordert wurde. Der Brief war schon von fünf weiteren Altkommunisten, unter ihnen auch Corneliu Manescu, unterzeichnet. Nach seinem Bekanntwerden wurden die Unterzeichner unter Hausarrest gestellt, aufs Land verbannt, die ärztliche Versorgung wurde ihnen entzogen. Der Diktator wollte seine Kritiker nicht nur mundtot machen, er wollte sie töten.

Manescu, der in den 60ern zeitweise Präsident der UNO -Vollversammlung war, ist ein international bekannter Politiker. Er ist in Ceausescus Machenschaften nicht verwickelt und genießt auch in der Bevölkerung Ansehen. So gesehen ist Manescu, den die Armee, die zuletzt mit der Bevölkerung gegen die verhaßte Securitate fraternisierte, unterstützt, der ideale Mann für diese Stunde. Die Armee wird von der Bevölkerung, wo sie sich von den Politoffizieren befreit hat, als nationale Institution akzeptiert.

Die Situation ist schwierig, das Chaos steht vor der Tür. Die Opposition, die keine politischen Strukturen hat, muß sich erst noch organisieren. Jede Lösung, jetzt, kann nur eine Provisorische sein. Eine Übergangslösung, die Rumänien eine Zukunft ermöglicht. Sie ist gefunden.

Auch der Letzte hat einen Vorteil. Er kann von den anderen lernen. Rumänien wird die Erfahrungen der anderen osteuropäischen Reformländer brauchen. Es lebe das freie Rumänien.

Richard Wagner

„Freiheitswille wie ein

Sturm durch Europa“

Bonn/Ost-Berlin (dpa/ap) - „Im Jahre 1989 ging der Wille der Menschen zur Freiheit wie ein Sturm durch Europa“, sagte Bundesaußenminister Genscher (FDP) am Freitag nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu. „Das rumänische Volk hat einen großen Sieg gegen ein menschenverachtendes Regime errungen“, erklärte Genscher weiter. Allerdings mische sich in die Freude auch die Trauer über die noch ungezählten Toten. Der Außenminister kündigte „im Geiste der Solidarität“ Soforthilfsmaßnahmen der Bundesregierung an, die mit den zuständigen Organisationen koordiniert würden.

Tiefe Befriedigung über den Sturz Ceausescus äußerte in Bonn der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel. Damit habe sich auch in Rumänien das Verlangen nach Freiheit und Demokratie gegen blutige Unterdrückung durchgesetzt. Der Fraktionssprecher der Grünen, Helmut Lippelt, sagte, er hoffe, daß nun auch das rumänische Volk die Kraft habe, den Weg der Reformen hin zur Demokratie zu finden. Er forderte die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den anderen EG -Ländern den Opfern zu helfen und die Oppositionsbewegungen in Rumänien zu unterstützen. Die CSU hofft nach den Worten ihres Parlamentarischen Geschäftsführers im Bundestag, Rudolf Kraus, daß nun die Rechte der in Rumänien lebenden Minderheiten wieder Beachtung fänden.

In Ost-Berlin drängte SED-Chef Gregor Gysi den französischen Staatspräsidenten Fran?ois Mitterrand, die Feier zur Öffnung des Brandenburger Tores abblasen zu lassen: Es sei keine Art, Jubelfeste zu veranstalten, während die rumänische Staatsführung ihre eigenen Bürger umbringe. Doch drei Stunden vor Beginn der Zeremonie mit DDR -Ministerpräsident Hans Modrow und Bundeskanzler Helmut Kohl war das historische Ereignis endgültig gerettet. Um 12.20 Uhr teilte DDR-Regierungssprecher Meyer mit, daß der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu gestürzt sei. „Jetzt haben wir wieder einen Grund zum Feiern“, sagte Meyer sichtlich erfreut. Schon in der Nacht zum Freitag hatte Empörung über das brutale Vorgehen des „Mörders Ceausescu“ gegen das rumänische Volk die Bauarbeiten am Brandenburger Tor beeinflußt.